Es ist kein Geheimnis, dass der Russland-Ukraine-Krieg erhebliche Disruptionen und Einbußen in der Energiesicherung Europas verursacht hat. Dennoch hat die EU durch den Konflikt erkannt, dass eine Diversifizierung des Energiemixes und der -quellen unerlässlich ist. So kam es unter anderem zur REPowerEU-Initiative, die unmittelbar nach Beginn des Krieges eingeführt wurde, jedoch erst mit der Veröffentlichung eines konkreten Strategieplans im Mai 2025 durch die EU-Kommission an Substanz gewonnen hat.
Dabei geht es zum einen um den graduellen Stopp russischer Energieimporte bis 2027, die ohnehin seit Kriegsbeginn signifikant zurückgegangen sind (Öl von 27 % auf 3 %, Gas von 45 % auf 19 %). Zum anderen soll der Ausbau erneuerbarer Energien durch den Strategieplan deutlich beschleunigt werden – mit einem besonderen Fokus auf „grünen“ Wasserstoff, der durch Elektrolyse mit Strom aus erneuerbaren Energien gewonnen wird.
Wasserstoff soll laut EU bis 2050 bis zu 20 % des Energiemixes ausmachen. Die Verwendung soll dabei vor allem auf den Energiebedarf im Verkehrssektor (20–50 %) und in der Industrie (5–20 %) ausgeweitet werden. Laut dem EU-Parlament liegt der Anteil von Wasserstoff derzeit jedoch nur bei 2 %, wobei lediglich 5 % davon aus erneuerbaren Energien stammen. Daraus ergibt sich eine Freisetzung von 70 bis 100 Millionen Tonnen CO2 jährlich – eine Menge, die deutlich reduziert werden muss, um den „Net Zero“-Zielen der EU näherzukommen.
Hier soll grüner Wasserstoff Abhilfe schaffen: Im Rahmen von REPowerEU hat sich die EU das Ziel gesetzt, bis 2030 zehn Millionen Tonnen grünen Wasserstoff zu importieren. Dafür sind ein diversifiziertes Energieportfolio und eine gezielte „Wasserstoff-Diplomatie“, wie sie die EU seit Februar 2022 aktiv betreibt, unerlässlich, um den CO₂-intensiven „grauen Wasserstoff“ durch grünen zu ersetzen. Auch Deutschland setzt dabei auf Großprojekte wie das Sila-Atlantik-Projekt aus Marokko, das jährlich rund 26 Terawattstunden Strom aus erneuerbaren Energien erzeugen und über zwei Stränge als längstes Stromkabel der Welt nach Deutschland transportieren soll. Ob diese Ziele letztlich erreicht werden, bleibt fraglich. Fest steht jedoch, dass sich zahlreiche Projekte mit Partnerländern aus Nordafrika und dem Nahen Osten bereits in aktiver Planung oder Umsetzung befinden.
Der SoutH2-Korridor
Der SoutH2-Korridor – eine 3.300 km lange Pipeline – ist eines der zentralen Projekte zur Sicherung grünen Wasserstoffs aus Nordafrika für Europa. SoutH2 verbindet die europäischen Länder Deutschland, Italien und Österreich mit den nordafrikanischen Partnern Tunesien und Algerien. Die geplante Transportkapazität des Projekts: vier Millionen Tonnen pro Jahr – das entspricht 40 % des REPowerEU-Ziels.
Als eines der beiden nordafrikanischen Partnerländer hat Tunesien eine umfassende nationale Wasserstoffstrategie entwickelt, mit klarem Fokus auf die Produktion und den Export von grünem Wasserstoff. Tunesien plant, bis 2050 insgesamt 8,3 Millionen Tonnen zu produzieren, von denen mehr als sechs Millionen Tonnen für den Export bestimmt sind. Bereits bis 2030 sollen jährlich rund 300.000 Tonnen nach Europa geliefert werden.
Mehrere Leuchtturmprojekte befinden sich in Planung oder sind bereits in der Entwicklung. So soll der „Amarenco Green Hydrogen Hub“ – ein sechs Milliarden US-Dollar schweres Projekt, entwickelt von Amarenco und dem Schweizer Unternehmen H2 Global Energy – ab 2031 in Betrieb gehen und bis zu 180.000 Tonnen pro Jahr produzieren. Darüber hinaus zielen das „H2 Notos“-Projekt, ein Joint Venture zwischen TotalEnergies, EREN Groupe und Österreichs Verbund AG, sowie ein Projekt des saudischen Unternehmens ACWA Power darauf ab, bei voller Kapazität jeweils zwischen 200.000 und bis zu einer Million Tonnen grünen Wasserstoff pro Jahr herzustellen.
Auch ein Offshore-Projekt, das vom tunesischen Ministerium für Industrie, Bergbau und Energie in Kooperation mit HDF Energy entwickelt wird, soll jährlich rund 65.000 Tonnen erneuerbaren Wasserstoff produzieren und Tunesien als nachhaltige, exportorientierte Energienation etablieren. Die Gesamtkosten für die Umsetzung des 20-jährigen Strategieplans werden auf rund 120 Milliarden US-Dollar geschätzt.
Neben Tunesien ist Algerien der zweite wichtige Partner im Rahmen des SoutH2-Abkommens. Durch seine umfangreichen Wind- und Solarressourcen hat das Land das Potenzial, langfristig 10 % der europäischen Nachfrage zu decken. Algerien plant, bis 2040 zwischen 800.000 und einer Million Tonnen Wasserstoff pro Jahr zu produzieren – mit dem Ziel, rund 80 % davon zu exportieren. Die „National Hydrogen Development Strategy“ – veröffentlicht im Januar 2024 – zielt darauf ab, Algerien als führenden Wasserstoffproduzenten sowohl auf regionaler als auch internationaler Ebene zu etablieren.
Insgesamt sollen 70 % der geplanten Wasserstoffproduktion durch Solarenergie und 30 % durch Windenergie gedeckt werden. Algerien bietet hierfür ausgezeichnete natürliche Voraussetzungen: Mit mehr als 3.000 Sonnenstunden pro Jahr zählt das Land zu den sonnenreichsten Regionen weltweit. Besonders in den südlichen Wüstenregionen wie Tamanrasset oder Adrar werden mit bis zu 33,5 GWh jährlich besonders hohe Photovoltaikleistungen erzielt – ideale Bedingungen für eine skalierbare, auf Solarstrom basierende Wasserstoffproduktion.
Gleichzeitig gewinnen auch die nördlichen Regionen Algeriens zunehmend an Bedeutung. Städte wie Tlemcen oder Skikda erreichen zwar geringere, aber dennoch substanzielle Solarstromerträge von rund 26 bis 29 GWh jährlich. Zudem verfügen diese Küstenregionen über eine günstigere Anbindung an bestehende Gasexportinfrastruktur – insbesondere an Pipelines nach Italien und Spanien – sowie über kürzere Transportwege nach Europa. Laut einer Studie von Benchenina et al. kann sich Algerien dank dieser Kombination aus natürlichen, infrastrukturellen und geographischen Vorteilen mit Produktionskosten zwischen 1,60 und 2,11 US-Dollar pro Kilogramm als international wettbewerbsfähiger Anbieter grünen Wasserstoffs positionieren.
Wasserstoff aus Oman
Ein weiterer bedeutender Akteur im internationalen Wasserstoffmarkt ist das Sultanat Oman. Laut staatlicher Angaben ist das Land auf dem Weg, bis 2030 der sechstgrößte Produzent von grünem Wasserstoff weltweit zu werden – und somit auch führend innerhalb des GCC. Bis 2030 plant das Land, mit mehreren Großprojekten zwischen 1 und 1,5 Millionen Tonnen grünen Wasserstoff jährlich zu erzeugen. Die nationale Wasserstoffstrategie sieht dafür kumulierte Investitionen von rund 140 Milliarden US-Dollar bis 2050 vor.
Auch auf europäischer Seite ist das Interesse an Oman groß. So wurde ein Joint Development Agreement zwischen Oman und den Niederlanden unterzeichnet, mit dem Ziel, den weltweit ersten Korridor für erneuerbaren Flüssigwasserstoff zu schaffen. Beteiligt sind unter anderem Oman’s Hydrom, das staatliche Energieunternehmen OQ sowie der Hafen von Duqm. Auf europäischer Seite zählen Tata Steel Nederland, der Hamburger Hafen und Logistik (HHLA), Hynetwork Services und der Port of Amsterdam zu den strategischen Partnern. Geplant ist, emissionsfreien Wasserstoff in mehreren Wüstenanlagen Omans zu produzieren und anschließend in verflüssigter Form über das Exportterminal in Duqm zu den europäischen Knotenpunkten Amsterdam und Duisburg zu verschiffen.
Ob der angestrebte Korridor für verflüssigten Wasserstoff tatsächlich realisiert werden kann, ist derzeit noch unklar. Die Umwandlung in den flüssigen Aggregatzustand erfordert Temperaturen unter minus 250 Grad Celsius – ein äußerst energieintensiver Prozess, der zusätzliche Infrastruktur und hohe Betriebskosten mit sich bringt. Darüber hinaus weist Flüssigwasserstoff im Vergleich zu Ammoniak eine geringere Energiedichte auf, was größere Transportmengen und komplexere Logistik erfordert. Laut einer Analyse des Clean Energy Wire könnten sich die Gesamtkosten für Konversion, Transport und Rückverstromung dadurch erheblich erhöhen – teils um das Zwei- bis Dreifache. Der geplante Korridor bleibt somit ein ambitioniertes, aber bislang technisch unerprobtes und wirtschaftlich herausforderndes Vorhaben.
Unabhängig von der Transportform stehen in Oman zahlreiche Großprojekte in den Startlöchern, die das Potenzial des Landes als Exporteur untermauern. Insbesondere rund um den Hafen von Duqm entstehen mehrere Großvorhaben: Das ACME Duqm Hydrogen Project ist eines der größten Projekte und wird vom indischen Unternehmen ACME Cleantech Solutions entwickelt. Bei voller Kapazität soll es jährlich 900.000 Tonnen grünen Ammoniak – eine zur Transportvereinfachung produzierte Verbindung aus Wasserstoff und Stickstoff – generieren, wobei die Inbetriebnahme für 2028 geplant ist.
Ein weiteres Vorhaben ist Hyport Duqm, ein Joint Venture zwischen dem omanischen Unternehmen OQ, dem deutschen Energieversorger Uniper und dem belgischen Unternehmen DEME. Ziel ist es, jährlich rund 60.000 Tonnen grünen Wasserstoff zu erzeugen, die vor Ort zu etwa 330.000 Tonnen grünem Ammoniak weiterverarbeitet und anschließend exportiert werden sollen. Hinzu kommt das Green Energy Oman (GEO) Project, ein 25-Gigawatt-Projekt, das auf Solar- und Windkraft basiert und jährlich über 1,8 Millionen Tonnen grünen Wasserstoff erzeugen soll, der wiederum für die Produktion von bis zu 10 Millionen Tonnen grünem Ammoniak genutzt wird. Das GEO-Projekt soll zu Beginn der nächsten Dekade implementiert und in Betrieb genommen werden.
Die Vielzahl dieser Projekte in Oman unterstreicht die Rolle des Sultanats als strategischer Partner für die europäische Energiewende. Durch die Diversifizierung der Transportwege und die Fokussierung auf den Export von Ammoniak als effizienten Wasserstoffträger trägt Oman dazu bei, die ehrgeizigen Importziele der EU zu erfüllen, die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu reduzieren und auf eine globale Exportstrategie zu setzen.
Herausforderungen
Trotz ambitionierter Ausbaupläne stehen die geplanten Wasserstoffpartnerschaften vor strukturellen, ressourcenbezogenen und ökonomischen Herausforderungen. Logistisch gesehen sind sowohl der geplante SoutH2-Korridor als auch der Flüssigwasserstoffexport aus Oman mit erheblichen Unsicherheiten verbunden. In Nordafrika fehlt es vielerorts an wasserstofffähiger Infrastruktur: geeignete Leitungsnetze und Speicherkapazitäten müssen noch ausgebaut werden, während die logistisch-technischen Elemente des Flüssigwasserstoffkorridors zwischen Oman und der EU noch erprobt werden müssen – trotz enormem Potential des Sultanats.
Auch der Ressourcenaufwand wirft Fragen auf – insbesondere im Hinblick auf den Wasserverbrauch. Für die Herstellung eines Kilogramms Wasserstoff werden rund neun Liter hochreines Wasser benötigt. In wasserarmen Ländern wie Algerien oder Tunesien kann das ein limitierender Faktor sein, da beide Länder laut Weltbank mit etwa mehr als 400 Kubikmetern Wasser pro Kopf und Jahr bereits unterhalb der Grenze absoluter Wasserknappheit liegen. Die Meerwasserentsalzung wird oft als technische Lösung genannt, ist jedoch teuer, energieintensiv und ökologisch umstritten. In Regionen mit ohnehin instabiler Energieversorgung ergibt sich so ein doppelter Engpass: Wasserstoffproduktion konkurriert mit der grundlegenden Wasserversorgung – sowohl wirtschaftlich als auch politisch.
Zudem bleibt die wirtschaftliche Realisierbarkeit vieler Vorhaben ungewiss. Ein Großteil der Projekte – insbesondere in Algerien und Oman – befindet sich noch in Planung oder frühen Entwicklungsphasen. Investitionen wie die angekündigten 140 Milliarden US-Dollar in Oman bis 2050 beruhen auf langfristigen Kalkulationen, deren Umsetzung noch nicht gesichert ist. Auch auf der Nachfrageseite zeigen sich Engpässe: Die industrielle Nutzung – etwa in der Stahlproduktion, im Schwerlastverkehr oder bei der Stromspeicherung – erfordert kosteneffiziente Brennstoffzellentechnologien, welche derzeit noch nicht in ausreichendem Maße kommerziell verfügbar sind. Solange hier keine Skalierung erfolgt, bleibt der grüne Wasserstoff ein strategisches und ambitioniertes Zukunftsprojekt.