Stefan Geisperger, Geschäftsführer Internationale Märkte und Consulting bei der DB Engineering & Consulting über das Engagement der Deutsche Bahn AG im Arabischen Raum und den Nutzen von internationalen Kooperationen für die Deutsche Bahn.

Ghorfa: Viele Besucher der Fußball-WM in Katar haben nicht schlecht gestaunt: Zu den Spielen haben sie sich in der modernsten Metro der Welt bewegen können. Die Bahnhöfe, das Design, die Zuverlässigkeit, die technische Abwicklung – alles hat beste Bewertungen bekommen. Der Erfolg geht auch auf die Deutsche Bahn zurück. Welchen Anteil hat die DB E.C.O. Group daran?

Geisperger: Wir haben im Bau der Doha Metro wesentliche Aufgaben übernommen. Vorab: Bei der Doha Metro handelt es sich in der Tat um eines der modernsten Transportsysteme der Welt – „State of the Art-Technology“. Es handelt sich um ein fahrerloses Transportsystem. Bei dieser Technologie sprechen wir über sogenannte „Grades of Automation“, kurz GOA. Das System in Doha ist GOA4, was den höchsten Grad der Automatisierung darstellt. Die Züge kommen im zwei-Minuten-Takt; das ist nur durch den hohen Automatisierungsgrad möglich, anders können die Sicherheitsstandards nicht gewährleistet werden.

Wir waren in die konzeptionelle Entwicklung der Metro involviert. Uns oblag neben der Qualitätskontrolle das gesamte Projekt- und Konstruktionsmanagement. Das Projekt wurde „in Time and Budget“ abgeschlossen – also zeitgerecht und im Kostenrahmen. Eine weitere Besonderheit: Da es in Katar sehr warm werden kann, wurden die Tunnel als sogenannte zweischalige, gekühlte Tunnel ausgeführt. Dadurch kann das Klima innerhalb der Röhren kontinuierlich auf eine für die Fahrgäste angenehme Temperatur angepasst werden.

Ghorfa: Um ein Gefühl für die Dimensionen zu bekommen: Wie viele Bahnhöfe, wie viele Gleiskilometer wurden erstellt?

Geisperger: Das gesamte Netz umfasst 76 Kilometer Strecke mit 37 Stationen. Es wurde übrigens ein Weltrekord für die schnellste Tunnelbohrung aufgestellt. In den Hochzeiten waren 21 Tunnelbohrmaschinen gleichzeitig im Einsatz und pro Woche wurden 2,5 Kilometer Tunnelstrecke fertiggestellt.

Ghorfa: Teilweise haben bis zu 85 000 Menschen auf den Baustellen gearbeitet. Es war viel zu lesen über angeblich unhaltbare Zustände auf den Baustellen in Katar. Was haben Sie beobachtet?

Geisperger: Das kann klar und deutlich beantwortet werden. Wir haben hohe Standards in Deutschland, innerhalb der Deutschen Bahn. Und diese Standards nehmen wir mit, ganz egal wo wir im internationalen Umfeld arbeiten.

Wir halten auch die Augen offen, wenn wir auf den Baustellen sind. Wenn uns Verstöße gegen Sicherheitsstandards auffallen würden, dann würden wir die mit unseren Auftraggebern unmittelbar besprechen.

Ghorfa: Wer ist die DB E.C.O. Group? Welche Leistungen bieten Sie an?

Geisperger: Die DB E.C.O. Group ist eine Unternehmensgruppe. Sie besteht aus den Unternehmen DB Engineering & Consulting, DB International Operations, infraView, ESE Engineering und Software-Entwicklung und inno2grid sowie aus lokalen Gesellschaften, Tochterunternehmen und Beteiligungen weltweit. Das gebündelte Know-how der Deutschen Bahn aus Engineering, Consulting und Betrieb führt so zu einer Expertise, die innovative und nachhaltige Lösungen für die globale Mobilität der Zukunft schafft.

Ghorfa: Wie viele Mitarbeiter sind bei Ihnen aktuell beschäftigt?

Geisperger: Wir haben aktuell etwas mehr als 7.000 Mitarbeitende aus fast 100 Nationen.

Ghorfa: Uns als arabisch-deutsche Handelskammer interessieren natürlich insbesondere Ihre Projekte im arabischen Ausland. Welche Projekte betreuen Sie dort zurzeit?

Geisperger: Derzeit haben wir unseren Schwerpunkt in Saudi-Arabien. Dort sind wir gerade dabei, die aktuelle Phase des Al Haramain Projektes zu finalisieren. Das ist ein ausschließlich für den Personenverkehr konzipiertes Hochgeschwindigkeitsprojekt, bei dem Geschwindigkeiten von bis zu 300 km/h erreicht werden können. Die gesamte Strecke von 450 Kilometern ist von uns errichtet worden. Dazu gehören fünf Bahnhöfe sowie 137 Brücken und 832 Durchlässe.

Ghorfa: Dabei handelt es sich um die Verbindung zwischen Mekka, Medina und dem Flughafen in Jeddah?

Geisperger: Genau. Es geht im weiteren Sinne um die Bewältigung der enormen Besucherströme während der Pilgerfahrten. Darüber hinaus nutzen die Umrah-Besucher und natürlich die Menschen in der Region die Bahn.

Ghorfa: „Al Haramain“, die Heiligen Stätten Mekka und Medina, dürfen von Nicht-Muslimen nicht betreten werden. Wie haben Sie es technisch und organisatorisch bewerkstelligt, dass Sie als DB E.C.O. Group die Planung dieser Strecke managen konnten?

Geisperger: Ganz einfach: Wir haben sehr viele Mitarbeitende, die Muslime sind. Wir haben das innerhalb der Projektdurchführung so gesteuert, dass in den heiligen Städten nur Muslime beschäftigt wurden.

Ghorfa: Die Planung ist aber hier in Deutschland gemacht worden?

Geisperger: Auch das ja, oder aber vor allem im Büro vor Ort. Onsite – also auf den Baustellen müssen unsere Mitarbeitenden insbesondere zur Bauüberwachung präsent sein. Dorthin werden nur Muslime entsandt. Aber in unserem Büro in Jeddah sind auch nicht-, oder andersgläubige Teil des Teams.

Ghorfa: Sie haben auch in Riad einen „Automated People Mover“ also ein fahrerloses System errichtet, für die Princess Nora bint Abdul Rahman University. Können Sie das Projekt näher beschreiben?

Geisperger: Hierbei handelt es sich ebenfalls um ein GOA4-Projekt, ähnlich dem in Doha. In Riad wurde die Metro Kopenhagen als Vorlage genommen und an die lokalen Bahnhofskonzepte angepasst. Auch dort haben wir umfangreiche unterstützende Tätigkeiten wie Konzeption und Design übernommen. Außerdem waren wir zuständig für die Bauüberwachung, die Prüfung und Begutachtung bis zum Ende, sprich die Tätigkeiten vor der finalen Inbetriebnahme.

Bei dem Projekt gab es eine Besonderheit, denn auf dem Campus durften nur Frauen für uns arbeiten, weil diese Universität nur für Frauen zugänglich ist. Um das bewerkstelligen zu können, haben wir vor Ort 80 Mitarbeiterinnen ausgebildet, die im Fall eines technischen Versagens einspringen können.

Ghorfa: Sie bilden in Saudi-Arabien Lokführer aus – auch für Deutschland?

Geisperger: In Saudi-Arabien bilden wir Bahnexperten und Management für den Bedarf vor Ort aus. Lokführer bilden wir in Ägypten aus. Hier bilden wir zeitgleich Lokführer für Deutschland als auch Trainer für die Ägyptischen Staatsbahn (ENR) aus.

Technische Ausbildung generell ist ein wichtiger Schwerpunkt unserer Aktivitäten im arabischen Raum. Wir wollen mithilfe unserer DB Rail Academy mit lokalen Trainern und Mastertrainern aus Deutschland 6.000 Mitarbeitende – hierunter Lokführer und andere Bahnberufe – für den Betrieb der Hochgeschwindigkeits- und Güterverkehrszüge in Ägypten ausbilden.

Ghorfa: Das Mega-Schienen Projekt in Ägypten ist ja in Sharm el Sheikh auf der Klimakonferenz bekanntgegeben worden. Es geht um ein Hochgeschwindigkeitsnetz, aber auch um ein komplexes System für den Güter- und den Personennahverkehr. Für Siemens ist das der größte Auftrag in der Unternehmensgeschichte. Man spricht von einem Auftragsvolumen von 8,7 Milliarden €. Wie sieht Ihre Rolle in diesem Mega-Projekt aus?

Geisperger: Wir arbeiten vor Ort mit der National Authority for Tunnels zusammen, einer Behörde des Transportministeriums. Dabei geht es um insgesamt 660 Kilometer Strecke, beginnend im Hafen von Ain Sukhna über Kairo bis Marsa Matruh. Wir haben dort einen Mischbetrieb, das kennen wir aus Deutschland sehr gut. Auf den gleichen Schienen wird Hochgeschwindigkeits-, Regional- und auch Güterverkehr betrieben. Hier werden wir der Zugbetreiber sein. Unser Personal fährt die Züge nach Inbetriebnahme der Strecke im Jahr 2027.

Ghorfa: Kritiker der Deutschen Bahn auch im Bundestag meinen, dass die Auslandsgeschäfte eher nicht weiter betrieben werden und Sie sich besser auf das marode deutsche Netz konzentrieren sollten. Was sagen Sie dazu?

Geisperger: Beide Dinge widersprechen sich nicht. Unser internationales Engagement bei der DB E.C.O. Group zahlt auf eine starke Schiene in Deutschland ein – in vielerlei Hinsicht. Unsere Expertise ist weltweit gefragt, wir kaufen uns nicht ein oder investieren in Anlagen oder Flotten. Wir beraten und betreiben. Wir sagen, dass es gut und wichtig ist, an dem international vorhandenen Know-how und den damit einhergehenden Entwicklungen im Schienenverkehrssystem zu partizipieren. Daran erhält man nur Anschluss, wenn man sich damit beschäftigt. Wir transferieren das Technologie-Wissen auch zurück nach Deutschland. Das Projekt der hoch automatisierten S-Bahn Hamburg ist mit Unterstützung von internationalen Mitarbeitenden – u.a. aus dem oben genannten Doha Metro Projekt – entwickelt worden. Wir lernen im Ausland Dinge, von denen auch das deutsche System profitiert.

Ghorfa: Ein Wissenstransfer in umgekehrter Richtung gleichsam.

Geisperger: Mit Projekten wie der DB Rail Academy zum Beispiel tragen wir auch zur Pünktlichkeit in Deutschland und Weiterentwicklung unseres einheimischen Schienensystems bei. Davon profitieren sowohl die DB AG als auch die Fahrgäste in Deutschland. Solche globalen Projekte und Partnerschaften treiben nicht zuletzt den internationalen Klimaschutz stetig voran – sie zeigen, dass Deutschland in der Lage ist, seine Nachhaltigkeitskompetenz zu exportieren.

Ghorfa: Herr Geisperger, wir danken Ihnen für dieses sehr aufschlussreiche Gespräch.

Das Interview führte Jürgen Hogrefe, Chefredakteur von SOUQ.

Stefan Geisperger ist seit August 2022 Geschäftsführer für Internationale Märkte und Consulting der DB E.C.0. 1963 in Straubing geboren, studierte er Maschinenbau an der TU München und war danach in leitenden Funktionen in Unternehmen der Automobilzulieferindustrie tätig. Im Anschluss sammelte er Erfahrungen in der Unternehmensleitung international tätiger, mittelständischer Gesellschaften, bevor er 2013 zur Deutschen Bahn AG kam. Hier verantwortete Stefan Geisperger zunächst eine Geschäftseinheit mit mehreren Werken für DB-Fahrzeuginstandhaltung, später war leitete er den weltweiten Vertrieb von Instandhaltungsleistungen. Zur DB Engineering, Consulting & Operations kam Stefan Geisperger im Jahr 2020.