Im Jahr 2016 verabschiedete das Königreich Saudi-Arabien seinen Entwicklungsplan unter dem Namen Saudi Vision 2030. Dieser beinhaltete unter anderem zwei Elemente zur Entwicklung des Königreichs Saudi-Arabien, die wirtschaftliche Diversifizierung und die gesellschaftliche Öffnung.
Wirtschaftliche Diversifizierung
Diese Themen, insbesondere das der wirtschaftlichen Diversifizierung, waren im Jahr 2016 selbstverständlich nicht neu. Seit im Jahr 1936 Erdöl gefunden wurde, basiert die wirtschaftliche Entwicklung und der Wohlstand Saudi-Arabiens auf der Exploration fossiler Brennstoffe, Erdöl und seit einigen Jahren auch der kommerziellen Nutzung des Erdgases. Dies führte zu einer Dominanz des staatlich kontrollierten Erdölsektors in Saudi-Arabien und der daraus folgenden Petrochemie. Die privatwirtschaftliche Entwicklung war geprägt durch Zulieferbetriebe für Produkte und Dienstleistungen der petrochemischen Industrie. Für die Privatwirtschaft stand der Handel, insbesondere der Import von Produkten, im Vordergrund. Eine eigene privatwirtschaftliche industrielle Entwicklung fand nur durch mittelständische weiterverarbeitende Betriebe statt. Daher hat Saudi-Arabien seit den 1970iger Jahren das Ziel seine Wirtschaft zu diversifizieren. Als Beispiel kann die 30% Regel aus dem Öffentlichen Beschaffungsgesetz des Jahres 1977 gelten, wonach ausländische Unternehmen die Regierungsaufträge in Saudi-Arabien ausführten, verpflichtet waren 30% des Projektvolumens lokal in Saudi-Arabien zu vergeben, um eine lokale Wertschöpfung zu erreichen. Ein anderes Beispiel sind die sogenannten Offset Programme bei Verteidigungsprojekten wie zum Beispiel das Yamamah Offset Programm von BAE Systems aus dem Jahr 1989.
Lokalisierung
Vor diesem Hintergrund ist die Politik der Lokalisation nicht neu. Eine Politik der Lokalisierung gibt es nicht nur in Saudi-Arabien, sondern auch in anderen Mitgliedstaaten des Golf Kooperationsrates wie zum Beispiel in Katar, den Vereinigten Arabischen Emiraten und in Oman. Die großen Erdölfördergesellschaften haben eigene Programme wie zum Beispiel bei Saudi-Aramco das Iktva Programm (in-Kingdom Total Value Added), Qatar Energy und ADNOC.
Verschiedentlich wird die Legitimität von Lokalisierungsprogrammen diskutiert. Diese könnte, weil sie lokale Produktionen vor ausländischer Produktion vorzieht und damit Marktzugänge reguliert, gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstoßen. Es ist jedoch überwiegende Meinung, dass im Öffentlichen Beschaffungswesen eine Bevorzugung lokaler Produktion rechtmäßig ist, gemäß den Vorschriften des Abkommens über das Öffentliche Beschaffungswesen im Rahmen der Welthandelsorganisation.
Seine rechtliche Grundlage in Saudi-Arabien finden Lokalisierungsprogramme im Gesetz über die staatlichen Ausschreibungen und Beschaffungen (Königliches Dekret Nr. M/128 vom 16.7.2019). Dort wird festgelegt, dass ausschreibende Behörden zunächst, bevor ausländische Unternehmen beauftragt werden, prüfen sollen, ob es nicht lokale Unternehmen gibt, die Gleiches anbieten können. Berücksichtigt werden sollen auch klein- und mittelständische Unternehmen, sowie Unternehmen, die auf dem saudischen Kapitalmarkt gehandelt werden. Hier wird die Zielrichtung der Förderung der nationalen Wirtschaft sehr deutlich, nämlich die Förderung von Start Ups, und des Kapitalmarkts. Letzteres ist von Bedeutung beim Übergang großer Familienunternehmen in eine Kapitalisierung durch Transformation in Aktiengesellschaften und deren Handel an der Börse. Auch die Ausführungsvorschriften zum Gesetz über die staatlichen Ausschreibungen und Beschaffungen enthalten weitere Details und Vorgaben für die Lokalisierungsprogramme in dem besonders die industrielle Lokalisierung und die Übertragung von Know How genannt werden. Zur Umsetzung dieser Politik wurde im November 2019 eine Behörde zur Lokalisierung und Öffentlichen Beschaffung gegründet (Local Content and Government Procurement Authority). Dies wurde flankiert durch einen Beschluss des Ministerrates Nr. 245 vom 26.11.2019, mit dem die grundlegenden Prinzipien der Lokalisierungsprogramme und Förderung von SMEs und gelisteten Unternehmen festgelegt wurden. Adressaten dieser Lokalisierungspolitik sind zunächst die Behörden Saudi-Arabiens. Hierzu wurde durch Königliches Dekret vom 10.7.2021 festgelegt, dass in jeder Behörde, die Öffentliche Aufträge vergibt, eine interne Arbeitsgruppe gegründet werden muss, um Lokalisierungsmaßnahmen zu entwickeln. Der zweite Adressatenkreis ist die saudische Privatwirtschaft, die aufgefordert ist, industrielle Bereiche zu definieren in denen Lokalisierungsmaßnahmen durchgeführt werden sollten. Der dritte Adressatenkreis sind alle Unternehmen, die interessiert sind an Öffentlichen Aufträgen, die eigene Qualifizierung für Lokalisierungsprogramme zu prüfen und zu entwickeln.
In der praktischen Anwendung kann das Lokalisierungsprogramm in zwei Bereiche unterteilt werden nämlich in Maßnahmen bezogen auf Produkte und in Maßnahmen bezogen auf die Bieter.
Produktbezogene Maßnahmen sind eine verpflichtende Liste von Produkten, die lokal beschafft werden sollen. Dies sind bislang im Wesentlichen Baumaterialien, Pharmazeutika, Medizinische Produkte, Lebensmittel und landwirtschaftliche Produkte, Kunstgegenstände und Transport. Nationale Produkte, die nicht auf der verpflichtenden Liste enthalten sind, erhalten einen 10% Preisvorteil bei der Vergabe Öffentlicher Aufträge. Schließlich gibt es eine Localization of Industry and Knowledge Policy (LIKT) in der Abnahmeverträge bevorzugt werden, sogenannte Offtake Agreements, um die wirtschaftliche Nutzung nationaler Produktion zu fördern.
Die Maßnahmen bezogen auf Bieter enthalten ein Schema zur Feststellung des Grades der Qualifikation. Hiernach werden Aktivitäten in Saudi-Arabien im Verhältnis zu globalen Aktivitäten des gleichen Unternehmens betrachtet. Hierbei handelt es sich insbesondere um die Kosten für Waren und Dienstleistungen, die Abschreibung von Vermögenswerten, die Kosten für Arbeitnehmer und Kosten für Ausbildung im Sinne von Capacity Building, wobei es hier insbesondere um die Ausbildung von saudischen Staatsangehörigen geht und Entwicklungskosten für Zulieferer. Zusätzliche Positivpunkte gibt es für Forschungs und Entwicklungsausgaben und potenziell in der Zukunft auch die Fähigkeit Produkte zu exportieren.
Diese Lokalisierungspolitik betrifft nicht nur ausländische Bieter, sondern auch inländische Bieter. Dies bedeutet auch in saudischem Eigentum stehende Unternehmen in Saudi-Arabien sind verpflichtet sich mit dem Lokalisierungsbestimmungen auseinanderzusetzen und lokale Wertschöpfung zu betreiben. Dies ist ersichtlich aus dem vorgenannten Grad der Qualifikation. Es reicht für ein saudisches Unternehmen nicht mehr ausländische Produkte zu importieren und weiter zu verkaufen, sondern eine lokale Wertschöpfung zu kreieren. Auch lokale Lieferanten von Produkten sind angehalten nach der Lokalisierungspolitik Produkte zu nutzen, die in Saudi-Arabien produziert worden sind, wie zum Beispiel Maschinen und Anlagen. Dies führt dazu, dass sich Händler im Maschinen- und Anlagenbau zunehmend einsetzen für den Aufbau von Produktionskapazitäten für die Maschinen und Anlagen innerhalb Saudi-Arabiens und ausländische Produzenten eingeladen sind über die Vergabe von Lizenzproduktionen nachzudenken, beziehungsweise selbst in Saudi-Arabien Produktion in Angriff zu nehmen.
Diese Politik basiert auf einer zunehmenden Gleichstellung von ausländischen und inländischen Produzenten. Das Investitionsrecht Saudi-Arabiens ist heute ausgesprochen liberal und lässt ausländische Investitionen im industriellen Bereich regelmäßig zu.
von:
Wolf R. Schwippert
Rechtsanwalt in Berlin, Präsidiumsmitglied der Ghorfa