Vor den Toren der saudischen Hauptstadt Riyadh tut sich derzeit eine weitere Großbaustelle auf. Anders als bei den futuristischen Projekten NEOM oder Jeddah Central handelt es sich diesmal um eine „Stadt des Spiels und der Freizeit“ für die breite Bevölkerung. Auf mehreren hundert Quadratkilometern entsteht mit Qiddiya City ein gigantischer Komplex nur für Entertainment, Sport und Kultur.

Qiddiya soll künftig eine „Hauptstadt für Entertainment, Sport und Kultur“ sein, so die Macher. Hier sollen Themenparks, Konzertarenen und Sportstätten in großer Anzahl entstehen– ein Vergnügungsviertel der Superlative, das nach Vision der Investoren die höchsten Besucherzahlen anziehen soll – nicht nur aus dem Königreich, sondern weltweit

Die Idee zu Qiddiya wurde 2017 bereits angekündigt, 2018 startete die Umsetzung. Die Baustelle liegt südwestlich von Riyadh in den Tuwaiq-Bergen, in machbarer Distanz von Stadtzentrum oder Flughafen. Auf rund 376 Quadratkilometern, einer Fläche dreimal so groß wie Disneyland USA, entsteht hier eine eigenständige Stadt. Eine staatliche Tochterfirma, die Qiddiya Investment Company (QIC), steuert das Projekt im Auftrag des Public Investment Fund (PIF). Insgesamt ist ein tägliches Aufkommen von über einer halben Million Menschen als Bewohner und Besucher möglich.

Der Masterplan sieht vor, Qiddiya in fünf Hauptzonen zu gliedern: das Resort Core (Themenpark- und Unterhaltungsbereich), Qiddiya Village (Mischgebiet mit Wohn-, Sport- und Kulturangeboten), Motion Zone (Rennstrecke und Motorsport), Eco Zone (Natur- und Outdoor-Aktivitäten) und eine Golf Community mit Luxus-Wohngebieten und -hotel samt Jack-Nicklaus-Golfplatz. Insgesamt Rund 300 Freizeit-, Sport- und Bildungs-Einrichtungen sollen entstehen.

Im Zentrum von Qiddiya stehen mehrere Themenparks. Das größte von ihnen ist der geplante Six Flags Qiddiya-Park: Er wird etwa 28 Fahrgeschäfte bieten, fünf davon sollen neue Weltrekorde aufstellen, darunter die „Falcon’s Flight“ – Sie soll gleich drei Weltrekorde brechen. Gleich daneben entsteht Aquarabia, der erste große Wasserpark des Königreichs. Aquarabia umfasst über 20 Wasserrutschen und Attraktionen, aufgeteilt in acht Themenbereiche und bietet luxuriöse Cabanas. Schließlich soll in Qiddiya das weltweit erste offizielle „Dragon Ball Theme Park“ entstehen, wo Besucher von den Klassikern bis zur neusten Serie in die Anime-Welt eintauchen können.

Ergänzt werden die Parks durch weitere Attraktionen wie einen Außenspielplatz mit Konzertsälen und Ausstellungsbereichen. Insgesamt rechnen die Planer mit mehr als 25 Millionen Besuchern jährlich, wenn alles fertig ist.

Die Infrastruktur ist eng mit Riyadh verknüpft: Qiddiya liegt rund 45 km westlich vom Stadtzentrum Riyadhs und etwa 70 km vom Hauptstadtflughafen. Die Anbindung erfolgt über eine Au-tobahn-Verbindung nach Riyadh. Besonders wichtig ist die geplante Erweiterung des Riyadh Metro-Netzes: Eine neue 65 km lange U-Bahn-Linie mit 19 Stationen soll künftig Qiddiya direkt mit der Hauptstadt verknüpfen. Vor Ort sind acht Metro-Stationen vorgesehen, sodass Besucher mit dem Zug aus der Stadt kommen können.

Neben der Bahn gibt es einen großen Verkehrsknoten mit Buslinien, Straßensystemen und Walkways zwischen den Zonen. Durch diese Infrastruktur soll Qiddiya auch als Pendlerort für Riyadh fungieren – viele Angestellte und Anwohner werden täglich zwischen der Hauptstadt und der Freizeitstadt verkehren. Der Standort in den Ausläufern der Tuwaiq-Berge bietet landschaftliche Attraktivität für Naturwanderungen, Mountainbiking und andere Outdoor-Aktivitäten.

Sportlich setzt Qiddiya Maßstäbe: Die Pläne sehen ein Fußballstadion nach internationalem Vorbild vor. Das Prince Mohammed bin Salman Stadium wird rund 46.000 Fans Platz bieten und bei Konzerten bis zu 60.900. Eingesetzt wird es u.a. von Klubs der Saudi Premier League und als Austragungsort für FIFA-WM-Spiele 2034 (vorgesehen sind mindestens Viertelfinale und Spiel um Platz 3). Laut Qiddiya-Betreibern sollen jährlich etwa 7,6 Millionen Besucher das Stadion nutzen (5,8 Mio. zu Sportevents). Das Stadion wird eingebettet in ein Unterhal-tungsfeld mit Restaurants, Läden und Erlebnisflächen auf 50.000 m².

Ein zweites sportliches Hauptprojekt ist die Speed Park Track. Das ist eine Formel-1-taugliche Rennstrecke: 21 Kurven, 80 Boxen und Spitzengeschwindigkeiten über 325 km/h sind geplant. Highlight wird die “Blade”-Kurve – ein 70 Meter hoher, auskragender Streckenabschnitt, der es so in noch keinem Rennkurs gibt. Ab 2027 sollen hier Formel-1- und MotoGP-Rennen stattfinden. Die Strecke wird neben Profi-Rennen auch frei für Hobby-Rennfahrer zugänglich sein. Sie windet sich spektakulär zwischen den anderen Attraktionen hindurch, mit vielen Aussichtspunkten für Zuschauer.

Zu den Motorsport-Angeboten gehört schließlich das Mercedes AMG World of Performance-Erlebniszentrum. Auf neun Stockwerken und 45.000 m² werden die Welt von Mercedes-AMG und der Formel 1 interaktiv erlebbar: Mit über 20 Simulatoren, 4D-Kino, Ausstellungen sel-tenster Boliden und sogar einer „Time Capsule“ der Automobilgeschichte. Dieses Center liegt direkt neben der Rennstrecke und soll Fahrschulungen und exklusive „Track Days“ mit AMG-Fahrzeugen anbieten. Ein Mercedes-AMG-Teamnebenboss nannte die Anlage schon „die spektakulärste Mercedes-Präsenz der Welt“.

Neben Sport und Unterhaltung ist auch Kultur und Bildung eingeplant. Qiddiya wird einen Performing Arts Centre beherbergen – ein großes Auditorium in den Bergen für Konzerte, Theater und Shows. Geplant ist außerdem ein Art Complex und Freilicht-Festivalgelände für Ausstellungen und Veranstaltungen. Ein besonderes Highlight ist das geplante Gaming- und E-Sports-Viertel: Nach eigenen Angaben das weltweit erste eigene E-Sport-Distrikt. Dort sollen Turnier-Arenen, „Arena-Streaming“-Studios und Gaming-Inkubatoren angesiedelt werden, um Saudis für den aufstrebenden E-Sport-Bereich zu schulen.

Bildungsaspekte sind beispielsweise durch internationale Kooperationen gesichert: So arbeitet Qiddiya mit der University of Central Florida (UCF) zusammen, um Saudis in Tourismus-, Hotel- und Sportmanagement auszubilden. Außerdem sollen Sport- und Kunstakademien entstehen, in denen junge Talente gefördert werden. Ziel ist ein kreatives Ökosystem, in dem Technologie-Startups, Designer und Künstler ansässig werden können – ein ergänzender Zweig zur reinen Unterhaltung.

Hinter Qiddiya stehen starke Partner. Haupteigentümer ist der staatliche Public Investment Fund (PIF), betrieben wird das Projekt von der Tochterfirma Qiddiya Investment Company (QIC). Daneben haben sich zahlreiche internationale Firmen und Investoren engagiert. Six Flags Entertainment (USA) wurde als Betreiber der Themenparks gewonnen. Für den Bau wichtiger Anlagen wurden Großaufträge vergeben: Beispielsweise erteilte QIC einem Kon-sortium aus Bouygues Bâtiment International (Frankreich) und dem saudischen Unternehmen Almabani einen SAR 3,75 Milliarden-Vertrag für den Bau des Six-Flags-Parks. Ein Joint Venture aus El-Seif Engineering (KSA) und ALEC (VAE) erhielt einen Großauftrag für die Erschließung um die Rennstrecke.

Qiddiya ist ein Kernprojekt der saudischen Vision 2030: Der Masterplan des Kronprinzen sieht vor, die Wirtschaft zu diversifizieren und die Abhängigkeit von Öl zu reduzieren. Qiddiya trägt diesen Zielen Rechnung: Es soll einheimische Ausgaben im Ausland für Unterhaltung im Inland binden und die junge Bevölkerung des Königreichs (ca. 67 % unter 35) mit neuen Jobs und Freizeitangeboten versorgen. Laut Plan werden durch Qiddiya hunderttausende Besucher nach Saudi-Arabien gelockt. Bis 2030 sollen jährlich über 25.000 Arbeitsplätze direkt durch Qiddiya entstehen und jährlich etwa 17 Milliarden SAR zum Bruttoinlandsprodukt beitragen. Zudem wird erwartet, dass jährlich etwa 30 Milliarden US-Dollar bisher ins Ausland floss, nun im Königreich ausgegeben werden.

Kurzum: Qiddiya bündelt die Vision 2030-Anliegen in einem Projekt – Tourismusförderung, Wirtschaftsdifferenzierung und Jugendförderung. Ein Werbespruch der Entwickler heißt: “Play Life” Dabei soll mit riesigen Investitionen nicht nur ein Freizeitpark, sondern eine ganze spielerische Stadtwirtschaft entstehen, die den Saudis neue Lebensqualität bringen und gleichzeitig Wertschöpfung ins Land holen will.

von: Raimund Reinecke