Durch neue technische Verfahren wird das Erdöl zunehmend wichtig als unverzichtbarer Lieferant für Basischemikalien und andere chemisch nutzbare Destillate. Länder wie Saudi-Arabien investieren massiv in neue Umwandlungstechnologien.

Trotz der zunehmenden Bedeutung für alternative Energien bleibt Öl ein Eckpfeiler der globalen Wirtschaftsentwicklung. Die steigende Weltbevölkerung und die zunehmende Industrialisierung der weniger entwickelten Länder erhöht den Energie-Hunger, der ohne diesen fossilen Energieträger nicht befriedigt werden kann. Die Frage ist nicht, ob wir Öl brauchen, sondern wie wir es künftig nutzen und transformieren, um den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu begegnen.

Das Crude Oil to Chemicals (COTC)-Verfahren verspricht, die ehemals lineare Funktion des Öls als bloßen Energieträger zu durchbrechen. COTC-Technologien werden im kommenden Jahrzehnt die Dynamiken der Petrochemie entscheidend beeinflussen. Dabei handelt es sich um Technologien, die Erdöl direkt für die Chemische Industrie nutzbar machen.

Durch innovative Verfahren entsteht eine breite Palette von Chemikalien, die in verschiedenen Industriezweigen unverzichtbar sind. Diese Vielseitigkeit ergänzt das traditionelle Verständnis des Öls als eindimensionaler Ressource und eröffnet neue Horizonte für Anwendungen. Fachleute rechnen damit, dass der Anteil Treibstoffe pro Barrel Öl in 2025 mit 58 Prozent seinen Höhepunkt erreichen und die Nachfrage nach Benzin im Zuge der alternativen Antriebe ab 2030 global sinken wird. Der Anteil von chemisch nutzbaren Destillaten pro Barrel Öl wird hingegen von 16 Prozent in 2020 auf 20 Prozent in 2040 steigen.

Der hochkomplexe COTC-Prozess beginnt mit der Fraktionierung des Rohöls in einem so genannten Cracker, in dem es, je nach Verfahren, in verschiedene Bestandteile wie Naphtha, Kerosin und Gasöl aufgespalten wird. Anschließend durchläuft jede Fraktion spezifische chemische Reaktionen, die zu der gewünschten Chemikalie führen.

Der Vorteil von COTC-Anlagen ist, dass sie auch in kleinerem Maßstab gebaut werden können und sie künftig eine Chemikalienausbeute von 60 – 80 Prozent erreichen, verglichen mit 17 – 20 Prozent in heutigen Raffinerien. Es gibt unterschiedliche COTC-Verfahren, sie alle ermöglichen die Produktion von Petrochemikalien, die als Bausteine für Kunststoffe dienen. Darüber hinaus entstehen durch den Prozess auch andere wichtige Chemikalien, die in der Landwirtschaft, der Medizin und verschiedenen industriellen Anwendungen benötigt werden.

Wirtschaftliche Diversifikation durch die Renaissance des Öls

Die Renaissance des Öls durch das COTC-Verfahren geht über die traditionelle Ölindustrie hinaus und ebnet den Weg für eine neue Ära wirtschaftlicher Diversifikation. Länder und Regionen, die einst ausschließlich von der Förderung und dem Verkauf von Rohöl abhängig waren, können nun zu Zentren für die Produktion hochwertiger Chemikalien werden. Dieser Paradigmenwechsel kann nicht nur zu einem wirtschaftlichen Aufschwung führen, sondern auch zu einer nachhaltigeren und diversifizierten Wirtschaft beitragen.

Dass es sich dabei nicht mehr um Fiktion handelt, lässt sich an einem beeindruckendem Vorhaben ablesen, dass Sabic und Saudi Aramco angekündigt haben. Die beiden größten Industrieunternehmen Saudi-Arabiens haben eine Initiative gestartet, um das Königreich als zentralen Hub für die weltweite Chemieproduktion zu etablieren. Etwa 100 Milliarden US-Dollar sollen in die Entwicklung unterschiedlicher Anlagen investiert werden. Der geplante Crude Oil to Chemicals (COTC) Komplex wird täglich 400.000 Barrel Rohöl in etwa neun Millionen Tonnen Chemikalien und Grundöle pro Jahr umwandeln. Die Anlage die voraussichtlich 2025 in Betrieb gehen wird, soll nicht nur die Wirtschaft diversifizieren, sondern auch bis 2030 einen geschätzten Beitrag von 1,5 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt des Königreichs leisten

„Unser Ziel ist es, 70 % bis 80 % jedes Barrel Rohöl auf wettbewerbsfähige Weise in Chemikalien umzuwandeln. Wir demonstrieren eine klare Technologieführerschaft in diesem Bereich“, sagt ein Forschungsleiter von Saudi Aramco. Er unterstreicht damit die Ambitionen und den technologischen Fortschritt, der mit dem COTC-Verfahren einhergeht. Die rasche Umsetzung der Pläne zeigt, dass die Transformation des Öls nicht nur eine Vision, sondern bereits Realität ist.

In Deutschland arbeiten zurzeit rund 530 000 Menschen in der Chemie- und Pharmaindustrie. Die deutsche Branche setzte 2022 rund 261 Milliarden EURO um.

von Raimund Reinecke