Deutschland muss die Energiewende vorantreiben und gleichzeitig die Versorgung mit günstiger Energie sichern. Arabische Länder können auch in der Zeit nach Öl und Gas ein idealer Partner sein. Wie kann das gelingen? Jens Kottsieper, Head of Energy Solutions bei ILF Beratende Ingenieure in München, zieht eine Zwischenbilanz und gibt einen Ausblick.

Die deutsche Bundesregierung steht unter erheblichem Druck. Nach der folgenreichen Abkehr vom Import der fossilen Energieträger Öl und Gas aus Russland fährt die Bundesregierung eine ambitionierte Strategie. Sie muss zwei Ziele zugleich bedienen: Die Sicherheit der Energieversorgung eines der bedeutendsten Industriestaaten zu gewährleisten und gleichzeitig die Dekarbonisierung anzustreben. Es müssen also schnell alternative fossile Energiequellen erschlossen und diese müssen so schnell wie möglich durch erneuerbare Quellen ersetzt werden.

Wie in den 70er Jahren wird aktuell der arabische Raum als Energielieferant immer wichtiger. Deutschland importiert 70 Prozent seiner Energie aus dem Ausland. Allen voran kommt sie heute von den Öl- und Gasproduzenten wie Libyen, Saudi-Arabien oder demnächst Katar.

Mit der Wende hin zu erneuerbaren Energien treten jedoch neue Länder als potenzielle Energieproduzenten in Wettbewerb mit den bestehenden. Dazu gehören beispielsweise Marokko, Ägypten oder der Oman.

Wer wird das Rennen machen?

Ein Blick auf die Realität und die Potenziale in den arabischen Ländern können als Barometer dienen, ob es sich bei der Energiewende – hier wie dort – um Wunschdenken oder Realität handelt. Und wer die Nase vorn hat.

Eins ist sicher: Das alte Bild von der arabischen Welt als Petro-Produzent zur Belieferung der Techno-Länder des Westens/Nordens befindet sich in Auflösung. Die energiewirtschaftlichen, energiepolitischen und technischen Entwicklungen in den arabischen Ländern lassen keinen Zweifel aufkommen, dass eine neue Energie-Epoche begonnen hat. Der Transfer von Energie wie auch von Technologie sind jeweils keine Einbahnstraßen mehr. Partnerschaft auf Augenhöhe ist das Ziel.

Dabei entwickeln sich die Länder und Regionen sehr unterschiedlich.

NORDAFRIKA

Die nordafrikanischen Länder sind für die EU und Deutschland energiewirtschaftlich höchst interessant: Ihre geografische Nähe zu Europa ist ein klarer Wettbewerbsvorteil vor anderen Regionen. Manche Länder sind reich an Öl und Gas, andere haben die Vorteile der Nutzung von erneuerbaren Energien erkannt. Manche Länder haben bereits installierte Energieverbindungen zu Europa, sei es über Pipelines oder Stromkabel. Sie könnten genutzt oder erweitert werden.

Marokko ist in einer interessanten Zwitter-Position: Wie Deutschland ist es von Energieimporten abhängig. Lange Zeit wurde Marokko mit Erdgas aus Algerien versorgt, bis aus politischen Gründen die Versorgung gestoppt wurde. In jüngerer Zeit wurde Marokko durch die – umgekehrte – Maghreb-Europe Pipeline mit teurem, verdampften, verflüssigtem Erdgas aus Spanien versorgt. Auch Strom fließt gelegentlich durch ein Kabel durch die Meerenge von Gibraltar von Spanien nach Marokko. Meist ist die Fließrichtung jedoch umgekehrt: Spanien bezieht oft Strom aus Marokko. Aktuell plant Marokko in Kooperation mit Ländern Westafrikas die Nigeria-Marokko-Gaspipeline. Die Realisierung des nördlichen Teils von Senegal über Mauretanien nach Marokko ist sehr wahrscheinlich.

Gleichzeitig verfolgt Marokko seit Jahrzehnten energisch und erfolgreich den Ausbau von Wind- und Sonnenenergie, wovon Marokko potenziell reichlich hat.

Wie kaum ein anderes Land der Welt hat Marokko die Erzeugung von Solarthermie (Concentrated Solar Power CSP) ausgebaut. Diese vielversprechende Technologie, mit der Energie als Wärme gespeichert werden kann, ermöglicht, dass Solar- und Windkraft auch dann gesichert Strom liefert, wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht . In Kombination mit Photovoltaik und Wind erreicht Marokko mit CSP-Solarkraftwerken hohe Volllaststunden, die fossilen Kraftwerken ernsthaft Konkurrenz bieten.

In jüngerer Zeit treibt die Regierung in Rabat Projekte zur Erzeugung von Wasserstoff voran, um die heimische Düngemittelherstellung, aber auch den Export von Ammoniak zu bedienen. Ob hier ein H2-Markt entsteht, der auch den deutschen Markt künftig mit Wasserstoff und seinen Derivaten bedienen kann, ist freilich noch nicht entschieden. Die geografische Nähe lassen sowohl einen Export durch Pipelines als auch per Schiff lohnend erscheinen.

Algerien ist – nach dem Russland-Embargo – Nordafrikas größter Exporteur von Erdgas nach Europa. Seit langem schon sucht Algerien nach Alternativen zum Erdgasexport. In der Sahara im Süden des Landes befinden sich große Flächen mit hervorragenden Sonneneinstrahlungswerten. Ein Masterplan der Regierung sieht vor, hier Solarenergie zu erzeugen und diese über lange Stromleitungen in den Norden an die Küsten und zu den Häfen zu bringen, um dort Wasserstoff und seine Derivate wie Ammoniak zu produzieren und nach Europa zu exportieren – sei es über Pipeline-Verbindungen oder Schiffen.

Aktuell hat Algerien jedoch seine Chancen erkannt, vermehrt Erdgas nach Europa zu exportieren und die Ausfälle aus Russland zu kompensieren. Die bestehende Infrastrukturen wie die Transmed-Pipelines werden ausgiebiger und länger genutzt. Die Pipeline liefert algerisches Gas durch Tunesien und das Mittelmeer bis nach Sardinien und hinauf nach Norditalien. Investitionen in neue Pipelines wie die Galsi-Pipeline sind durch den vermehrten Erdgasexport jedoch nicht wahrscheinlicher geworden, andere Pipelines sind aus unterschiedlichen Gründen außer Betrieb. Mit Investitionen sowohl in konventionelle als auch in innovative Technologien tut sich die Regierung in Algier zurzeit schwer. Ausländische Partner warten seit langem auf die Modernisierung der monopolistisch auf den Export von Erdgas ausgerichteten Industrie.

Tunesien liegt geografisch am günstigsten zu Zentraleuropa. Es führen sowohl Pipelines als auch Stromkabel nach Italien, das über die Schweiz und Österreich an Zentraleuropa angebunden ist. Die Transmed-Pipeline von Algerien läuft auch durch Tunesien. Über Jahrzehnte haben tunesische Staatskonzerne mit Gaskraftwerken den Strommangel in Italien ausgeglichen. Die Regierung in Tunis hat eine Strategie zum Ausbau der erneuerbaren Energien entwickelt und will bis 2030 30 Prozent seines Stroms erneuerbar herstellen. Doch noch sind die Projekte verhältnismäßig klein. An den Export von erneuerbarer Energie nach Europa ist vorerst kaum zu denken, auch wenn dies Deutschland gerne sähe.

Ägypten liegt strategisch und geografisch sehr günstig an der Scheide zwischen Nordafrika und dem Mittlernen Osten. Es kontrolliert mit dem Suezkanal eine der weltweit wichtigsten Handels- und Schiffsrouten. Diese Position nützt die Regierung in Kairo mit dem Ausbau von Häfen, u.a. dem Sonker-Terminal, zur Versorgung, Ent- und Beladung von Schiffen mit Flüssiggas. Mit Akribie entwickelt Ägypten seine eigenen Erdgasreserven. Die Vorkommen werden nicht nur für die heimische Energieversorgung genutzt. Das Erdgas wird über LNG-Exportterminals auf dem Weltmarkt angeboten, zuvörderst den Anrainern des Mittelmeers.

Es gab sogar Pläne, eine gemeinsame Gas-Infrastruktur mit Israel zu betreiben. Die seit vielen Jahrzehnten geplante Eastmed-Pipeline wurde wegen politischer Differenzen einstweilen nicht realisiert. Sie soll die EU mit Gas aus den Feldern vor Israel und Zypern durch Griechenland bis nach Italien beliefern.

Das von der EU geförderte Projekt könnte jedoch durch die Idee des Exports gasförmigen Wasserstoffs aus Saudi-Arabien wiederbelebt werden, sofern die angedachte Pipeline aus Ägypten durch Libyen mit Querung des Mittelmeers an günstiger Stelle nicht realisierbar erscheint. Darüber hinaus verfolgt Ägypten komplexe Raffinerie- und Chemie-Projekte, deren Realisierung jedoch noch aussteht.

Ägypten gehört zudem zu den weltweit ertragreichsten Ländern von Wind- und Solarkraft. Der Ausbau großer Kraftwerke wie Kom Ombo am oberen Nil schreitet voran. In Oberägypten sollen Windparks mit einer installierten Leistung von 10 Gigawatt entstehen. Investmentsumme: Rund zehn Milliarden US-Dollar. Deutschland und die EU arbeiten intensiv an der Entwicklung der Energiepartnerschaft. Noch fehlt jedoch ein belastbarer rechtlicher Rahmen. Ägypten, dessen Bevölkerung und Energieverbrauch rapide wachsen, hat zudem hohe Auslandsschulden. Deswegen sollen die Erneuerbaren-Projekte, die einen erheblichen Entwicklungsschub bringen sollen, mit ausländischem Geld in Milliardenhöhe unterstützt werden, auch aus der Golfregion.

Derweil verfolgt Ägypten innovative Projekte wie die Herstellung von Wasserstoff aus Kunststoff mittels Pyrolyse. Es existieren auch Vorhaben zum Einsatz von Technologien zur Abscheidung und Speicherung von Kohlendioxid. Ägypten verfügt selbst über sehr gut ausgebildete Ingenieure und ist zeitgleich sehr wettbewerbsintensiv.

MITTLERER OSTEN

Saudi-Arabien ist Weltmarktführer in der Förderung von Erdöl. Gleichzeitig will es mit starken, finanziellen Infrastrukturfonds seine exportorientierte Industrie zu einem Technologieland umbauen, das seine Energie ausschließlich aus erneuerbarer Energie bezieht. Beispiele dafür sind das Amaala oder das Red Sea Development Project. Dafür zieht Saudi-Arabien wettbewerbsfähige und -affine Unternehmen aus aller Welt an, mit Wissen und Können im Wettbewerb den Umbau zu unterstützen. Das futuristische Neom-Projekt ist ein multisektorales Projekt. Neben der Infrastruktur- und Wirtschaftsentwicklung sollen dort innovative Technologien der Solar- und Windkraft- als auch Wasserversorgung zum Einsatz kommen. Gewöhnlich agiert Saudi-Arabien in großem Maßstab, sofern sich ein belastbares Geschäftsmodell abzeichnet.

Der über Jahrzehnte entwickelte Fokus auf Meerwasserentsalzung wird neuerdings vor allem durch die Entwicklung erneuerbarer Energie ergänzt. Zunächst stand die Elektrifizierung und der Ersatz wertvoller fossiler durch günstigere solare Brennstoffe im Vordergrund. Da Saudi-Arabien aber nun mal auf eine langjährige Erfahrung im Export zurückblickt, will es diese Stärke nun auch für den Export von Solarkraft in Form von Ammoniak nutzen. Die Saudis haben die feste Absicht, auch in der Zeit nach Öl und Gas eines der Hauptexportländer für Energie und Energieträger zu bleiben. Auch in die EU.

Vereinigte Arabische Emirate

Der Mohammad Bin Rashid Al Maktoum Solar Park in Dubai war eines der ersten groß angelegten Masterpläne, die sich auf die Bewertung der effektivsten Solartechnologie konzertierte. Mit Projekten wie Masdar City, der ersten energieoptimierten Stadt der Welt und NOOR, dem größten Solarkraftwerk der Welt mit 1,7 MW Leistung haben sie ebenso Maßstäbe gesetzt wie mit den Gestehungskosten für erneuerbare Energie. Das 2000 MW-Solarkraftwerk Al Dhafra liefert die Kilowattstunde Strom für den bisherigen Welt-Tiefstpreis von 1,1 Eurocent/KWh.

Die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), die die Klimakonferenz COP 28 ausrichten, wollen ihre wirtschaftliche Entwicklung, die stark auf Erdöl basiert und gegenwärtig auch noch ausgebaut wird, mit ihrem Engagement für den Umweltschutz in Einklang bringen. Wichtige Themen der 28. UN-Klimakonferenz sind die Anpassung an den Klimawandel, die Finanzierung von Umweltschutzmaßnahmen und die Förderung einer nachhaltigen Entwicklung. Die VAE wollen zeigen, dass sie sowohl ihre Erdölproduktion steigern als auch eine führende Rolle im Umweltschutz übernehmen können.

Oman

Der Oman verfügt über große Landflächen. Mit einer beachtlichen Ausschreibung von Lizenzen für den Ausbau erneuerbarer Energie und Produktion von Wasserstoff durch die staatseigene Agentur Hydrom macht der Oman jüngst Schlagzeilen. Es setzt dabei auf den Wettbewerb unter mehreren privaten Entwicklern und Investoren. Oman ist weiter als die meisten anderen Länder darin gegangen, grünen Wasserstoff in den Mittelpunkt seiner Dekarbonisierungsstrategie zu stellen. Seit der Einführung seiner Nationalen Wasserstoffstrategie im vergangenen Oktober hat das Sultanat eine ambitionierte Reise mit strengen Lieferfristen angetreten, um das Wachstum eines grünen Energieökosystems zu ermöglichen. Um diese Vision in den nächsten drei Jahrzehnten zu verwirklichen, sind Investitionen in Höhe von insgesamt 190 Milliarden US-Dollar geplant – ein Ziel, das nur durch internationale Partnerschaften, Joint Ventures und Wissensaustausch erreicht werden kann. Deutsche Entwickler und Technologiepartner sollten hier einen festen Platz finden.

Deutschlands arabische Partner

An Studien, Strategien, Kooperationsvereinbarungen, Projektentwicklungen in frühen Stadien mangelt es nicht. Doch es sind vor allem zwei Länder, die Stand heute für die Versorgung Europas mit großen Mengen an Erneuerbarer Energie bedeutend werden könnten. Dies ist zum einen Saudi-Arabien. Über eine Pipeline könnte gasförmiger Wasserstoff nach Europa transportiert werden. Allerdings müssen dafür das Mittelmeer und einige Transitländer gequert werden, was in der Vergangenheit schon Projekte für den Gastransport erschwert hat. Beschleunigt der steigende Handlungsdruck die Bewältigung solcher Probleme? Zum anderen ist das Marokko. Die Meerenge bei Gibraltar scheint das geringere Problem zu sein, zumal es bereits eine Pipeline-Verbindung gibt. Das Problem mit Transitländern bis zu Verbrauchern in Zentraleuropa bleibt dennoch bestehen. Es führt um Wasserstoff-Pipelines wie in der Vergangenheit für Gas und Öl kaum ein Weg vorbei, wenn große Energiemengen kostengünstig transportiert werden sollen.

In jedem Fall werden attraktive und verlässliche Rahmenbedingungen benötigt, um eine klare, langfristige Vision für Investoren zu schaffen. Hier ist Oman ein Vorbild, das mit Hydrom nicht nur eine dezidierte staatliche Agentur, die nach einem geordneten und nachvollziehbaren Plan klare und verbindliche Ausschreibungsprozesse entwickelt hat und diese konsequent umsetzt.

Freilich stehen Projekte in arabischen und nicht-arabischen Erzeugerländern, wie zum Beispiel Namibia, wo Deutschland erheblichen Ehrgeiz entwickelt, im Wettbewerb um die günstigsten Produktionsbedingungen und besten Zugänge zu Absatzmärkten.

Wenn Deutschland einen signifikanten Anteil seiner Energie aus erneuerbaren Energien beziehen will, muss es auch bereits sein, signifikante Finanzierungsmittel in den Umbau bestehender und Aufbau neuer Infrastrukturen zu stecken. Erste Anreizmechanismen wie z.B. H2Global wurden geschaffen und Bemühungen zum Abbau von genehmigungstechnischen Hürden unternommen. Allein das reicht nicht, Milliardeninvestitionen und der Produktion von hunderten Terrawattstunden oder Millionen Tonnen von Wasserstoff oder Ammoniak abzusichern. Da muss noch mehr kommen.

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Jens Kottsieper; Head of Energy Solutions von ILF Beratende Ingenieure in München, gibt einen Überblick über die aktuellen und potenziellen Energie-Partner Deutschlands und ihre Entwicklung im arabischen Raum.