THE LINE wird sich mit den Herausforderungen befassen, denen sich die Menschheit heute im städtischen Leben gegenübersieht, und alternative Lebensweisen aufzeigen. Wir können die Lebens- und Umweltkrisen, denen die Städte unserer Welt ausgesetzt sind, nicht ignorieren […]“ – Kronprinz und Premierminister des Königreichs Saudi-Arabien Mohammed bin Salman

Die Welt befindet sich im Umbruch. Vor allem die Folgen des Klimawandels sind überall auf der Welt zu spüren. Kohlenstoffdioxid (CO²) trägt dazu in erheblichem Maße bei. Obwohl China (mit fast 30 Prozent) und die Vereinigten Staaten von Amerika (mit fast 14 Prozent) die weltweite Rangliste der CO²-Emittenten anführen, ist auch das Königreich Saudi-Arabien auf Platz 9 der gleichen Liste vertreten. Das Königreich ist für 1,7 Prozent der weltweiten Emissionen verantwortlich und liegt damit nur 0,3 Prozentpunkte hinter Deutschland. Das Königreich strebt nicht nur in Bezug auf die CO²-Emissionen, sondern auch auf seine Wirtschaft einen radikalen Wandel an.

Der Anteil der mineralischen Brennstoffe an den Warenexporten des Königreichs betrug im Jahr 2020 73,2 Prozent. Um die Wirtschaft zu diversifizieren, wurde die „Saudi Vision 2030“ am 25. April 2016 von Kronprinz Mohammed bin Salman ins Leben gerufen. Die Vision formuliert als strategische Ziele „eine lebendige Gesellschaft, eine florierende Wirtschaft und eine ehrgeizige Nation“. Ein Bestandteil der Vision ist NEOM. NEOM setzt sich zusammen aus „neo“ für neu und „m“, der Kurzform von mustaqbal (= Zukunft). Nach Ansicht des Kronprinzen kann die Menschheit die aktuelle Krise der Lebensqualität und Umwelt, mit der die Städte der Welt konfrontiert sind, nicht ignorieren und für genau diese Probleme soll NEOM Lösungen bieten. NEOM kommt ohne Straßen, Autos und Emissionen aus, wird zu 100 Prozent mit erneuerbaren Energien versorgt und 95 Prozent des Geländes werden als Naturland erhalten. Im Gegensatz zu herkömmlichen Städten haben die Gesundheit und das Wohlbefinden der Menschen Vorrang vor Verkehr und Infrastruktur.

Das Konzept von NEOM

Der saudische Kronprinz und Premierminister Mohammed bin Salman hat NEOM am 24. Oktober 2017 in Riad vorgestellt. NEOM soll sich über eine Fläche von 26.500 Quadratkilometern erstrecken, umgerechnet rund 500 Milliarden US-Dollar kosten und aus der linienförmigen Stadt THE LINE, der Smart City OXAGON und der Strandküste NEOM Bay bestehen. Die Summe von 500 Milliarden US-Dollar soll sowohl durch den Saudi Public Investment Fund als auch durch Fremdkapital finanziert werden. So soll die Finanzierung zum Beispiel durch den Börsengang von NEOM selbst gesichert werden, der für 2024 geplant ist und eine Investitionssumme von über 130 Milliarden US-Dollar generieren soll.

Die geplante Zone soll zu 100 Prozent mit vor Ort erzeugten erneuerbaren Energien versorgt werden, die aus ganzjährig verfügbaren Solarressourcen, Windkraft und Wasserstoff generiert werden. NEOM soll auch ein wirtschaftlicher Motor sein, basierend auf und getrieben von Innovationen. Unternehmen aus den Bereichen Bau, Finanzen, Medien, Technologie, Energie, Sport, Gesundheit und Tourismus sollen sich hier ansiedeln. Attraktiv soll der Standort unter anderem durch den Aufbau funktionierender und effizienter Lieferketten werden. Dadurch könnte NEOM bis zu 380.000 Arbeitsplätze schaffen.

Da NEOM von Grund auf neu gebaut wird, wird das städtische Leben in besonderer Weise durch Mobilität neu definiert. Dazu werden wesentliche Versorgungs- und Verkehrsdienstleistungen unter die Erde verlegt. Letztlich soll der Mensch im Mittelpunkt stehen. Daher wird das geplante Gebiet nicht für Autos konzipiert sein, sondern auf Bequemlichkeit und Begehbarkeit ausgelegt. Alle Annehmlichkeiten sollen in nur fünf Minuten fußläufig erreichbar sein.

Die intelligente Stadt OXAGON soll einen vollautomatischen Hafen umfassen, der zur Hälfte ins Meer gebaut ist und das weltweit größte Projekt für grünen Wasserstoff beherbergen. Die Anlage, die zur Herstellung von Ammoniak als Basis für grünen Wasserstoff gebaut wird, soll 2025 in Betrieb genommen werden.

Um den Tourismus in der Region anzukurbeln, ist außerdem geplant, 50 Luxusresorts an der Strandküste (NEOM Bay) zu eröffnen und 50 künstliche Inseln im Roten Meer zu errichten, ohne dabei die vielfältige lokale Meeresfauna zu beeinträchtigen. Schließlich besteht ein großer Teil der Vision von NEOM darin, eine möglichst umweltfreundliche Megastadt zu bauen.

Kernkomponente: THE LINE

Die ursprünglichen Pläne für THE LINE wurden erstmals im Januar 2021 von Kronprinz Mohammed bin Salman im saudischen Staatsfernsehen vorgestellt. Am 25. Juli 2022 stellte der Kronprinz den neuen Entwurf der „Stadt der Zukunft“ vor: Die geplante Stadt soll nun ein 170 Kilometer langes, 200 Meter breites und 500 Meter hohes Gebäude in Form einer Linie mit reflektierenden Fassaden auf beiden Seiten werden. Dieses soll im Jahr 2045 Platz für bis zu neun Millionen Menschen bieten. Bereits im Jahr 2030 sollen in THE LINE eineinhalb Millionen Menschen leben und es werden fünf Millionen Touristen pro Jahr erwartet.

Die Fläche, die das Bauwerk einnehmen wird, beträgt nur 34 Quadratkilometer. Das bedeutet, dass hier eine Stadt nicht in die Breite, wie sonst üblich, sondern in die Höhe gebaut wird. Auf diese Weise sollen 95 Prozent der Natur erhalten bleiben. Wegen ihrer Länge durchquert die Stadt mit der Küstenwüste, den Bergen und dem oberen Tal drei verschiedene Landschaftstypen. Innerhalb der NEOM am Roten Meer gelegen, erstreckt sich THE LINE bis in den Süden der Stadt Tabuk im Nordwesten des Königreichs und verbindet das Rote Meer mit den Bergen im Nordosten.

Auch aus globaler Sicht ist der Standort sinnvoll, denn 40 Prozent der Weltbevölkerung sind weniger als sechs Flugstunden entfernt, während 13 Prozent des Welthandels durch den nahe gelegenen Suezkanal fließen. Dem Kronprinzen zufolge wird das monumentale Gebäude eine „zivilisatorische Revolution“ darstellen. Die Vorzüge werden wie folgt dargestellt: Ein unbegrenzter Zugang zur Natur, saubere Luft, mehr Zeit für die Familie und Freunde und ein ideales Klima das ganze Jahr über. Den künftigen Bewohnern von THE LINE werde ein „beispielloser“ Zugang zur Natur gewährt. Natur, sind hier verschiedene bepflanzte Freiflächen, die auf mehreren Ebenen schweben. Gleichzeitig wird ein ungehinderter Blick auf die umliegende Naturlandschaft, die Berge und den Himmel gewährleistet und dank einer reduzierten Infrastruktur wird eine Zersiedelung vermieden.

THE LINE stehe, so seine Planer, auch für saubere Luft, denn das Fehlen von Autos und Straßen führe zu Kohlenstoffneutralität. Und auch die Industrie soll zu 100 Prozent mit erneuerbaren Energien betrieben werden. Außerdem tragen die erwähnten Freiflächen und Naturgebiete zur Reinigung der Luft bei.

Ein effizientes Verkehrsnetz ohne Wartezeiten soll dafür sorgen, dass eine Verbindung von einem Ende der LINE zu dem Anderen in nur 20 Minuten mit einem Hochgeschwindigkeitszug ermöglicht wird. Kurze Fußwege von höchstens fünf Minuten zu allen regelmäßig besuchten Orten würden zusätzlich Zeit sparen. Verschiedene Module, zu denen Geschäfte und Büros, aber auch Bildungs- und Kultureinrichtungen sowie Wohn-, Gesundheits- und Freizeiteinrichtungen gehören, können auf einer Höhe von 500 Metern miteinander kombiniert werden. Dies führt in der Theorie dazu , dass spontane Begegnungen häufiger sind und die Entfernungen zur Befriedigung alltäglicher Bedürfnisse und zur Erledigung täglicher Aufgaben minimiert werden. Die Module sind standardisiert, um die Kompatibilität zu maximieren.

Als weiterer Bereich der zivilisatorischen Revolution wird ein ganzjähriges ideales Klima genannt. Neben der Verbesserung des Komforts der Menschen in der Stadt durch die grünen Erholungsgebiete sollen die vielen bepflanzten Flächen in Kombination mit der durchdachten Architektur zu einem optimalen Gleichgewicht von Sonnenlicht, Schatten und natürlicher Belüftung führen und so eine Grundlage für ideale mikroklimatische Zonen schaffen.

Das Leben in THE LINE könnte nach der Vorstellung der visionären Planer im Königreich durch die ideale Kombination aus Natur, Mensch und Wirtschaft die Zukunft des städtischen Lebens sein.

Von Dr. Murad M. Daghles:

Dr. Murad Daghles berät Unternehmen bei komplexen nationalen und grenzüberschreitenden M&A-Transaktionen und Joint Ventures sowie in aktien-, konzern-, umwandlungs-, übernahme- und wertpapierrechtlichen Fragen sowie zu Grundsätzen der Unternehmensführung. Herr Dr. Murad Daghles war u.a. in New York, Los Angeles und Abu Dhabi tätig.