Im tiefen Südosten des Irak, auf einer 20 Kilometer langen Landzunge am arabischen Golf, realisieren sich gegenwärtig die ambitionierten Zukunftspläne der irakischen Regierung: Auf der Halbinsel Al-Faw entsteht ein neuer Mega-Hafen für die globale Wirtschaft, in dem künftig die gigantischen Waren-Ströme zwischen Europa und Asien in beide Richtungen umgeschlagen werden sollen.
Die Al-Faw-Halbinsel ist einer der Zugänge des Irak zum arabischen Golf und der einzige irakische Tiefseehafen. Hier entstehen derzeit im ersten Abschnitt der geplante Containerterminals mit fünf Liegeplätzen. Langfristig sollen es deutlich mehr Liegeplätze werden. Dann können hier 7,5 Millionen TEU pro Jahr umgeschlagen werden – noch mehr als derzeit beim regionalen Konkurrenten Jebel Ali in Dubai.
Der Grand Faw Port soll künftig zu den größten Häfen weltweit zählen und den Irak zum Logistikzentrum der gesamten Region machen. Der Hafen ist nach einer Vertiefung des Hafenwassers auf 17 Meter in der Lage, auch die größten Containerschiffe der Welt aufzunehmen.
Landbrücke nach Europa
So spektakulär wie der Hafen selbst ist das dazugehörige Logistik-Konzept der sogenannten „Development Road“. Die Idee: Über 1.200 Kilometer sollen die Schienen und Straßen vom Hafen Al-Faw bis zur türkischen Grenze bei Cizre reichen und damit Asien direkt mit Europa verbinden.
Der Irak würde so zu einer Art „trockenem Suezkanal“ werden. In einem Abkommen vom März 2023 präzisierten Bagdad und Ankara die Details: Bis spätestens 2029 soll die Strecke bis zur Türkei fertig sein; dafür werden rund 17 Milliarden US-Dollar investiert.
Im Mai 2023 hatten Vertreter der EU, der Weltbank, der Türkei, Jordaniens, Irans und auch der GCC-Staaten in Bagdad einen ersten Fahrplan besprochen. Damals hieß es optimistisch: „Der Irak hat seine zentrale politische Rolle in der Region wiedererlangt und ist zu einem politischen Konvergenzpunkt geworden; nun ist es an der Zeit, dass es auch seine wirtschaftliche Bedeutung zurückgewinnt“ .
Logistikzentren, Industriezonen und sogar Pipeline-Anschlüsse sind Teil des gigantischen Plans, den Warenumschlag zu erhöhen – und schneller zu machen als bisher möglich. Im März 2025 demonstrierte die Internationale Straßenverkehrsunion (IRU) die erhöhte Umschlaggeschwindigkeit auf dem neuen „Transitkorridor“: Eine Containerladung brauchte vom türkischen Hafen Mersin nach Umm Qasr (nah an Al-Faw) weniger als eine Woche. Der Seeweg durch den Suezkanal hätte etwa zwei Wochen beansprucht. Der Schienen- und Straßentransport durch den Irak lässt Asien und Europa um Einiges näher zusammenrücken.
Regionale Herausforderungen
Noch sind wichtige Details des Mega-Projektes noch nicht endgültig geregelt, etwa ob und wo die Trasse durch die Autonome Region Kurdistan verlaufen wird. Auch mit Kuwait ist die irakische Regierung noch nicht vollends einig, weil der Verlauf der Seegrenze im Al-Faw-Kanal noch nicht endgültig geklärt ist.
Währenddessen haben sich andere außenpolitische Akteure bereits klar verpflichtet: Neben Ankara sind auch die Golfstaaten UAE und Katar offiziell an dem Vorhaben beteiligt. Abu Dhabi etwa ist ohnehin schon seit Jahren in den irakischen Süden investiert, etwa über Gasfeld-Beteiligungen. Im April 2024 unterzeichneten Abu Dhabis Hafenbetreiber (AD Ports Group) und das irakische Transportministerium eine bilaterale Vereinbarung zur Entwicklung des Grand Faw Ports und seiner Wirtschaftszone. Das „Middle East Council“ hat feststellt, dass die Beteiligung der UAE und Katars an Al-Faw als „Gradmesser“ für den neu erwachten Kooperationswillen im Golfregion gesehen wird.
Die asiatische Groß- und Handelsmacht China scheint das irakische Projekt zu-nehmend als Ergänzung zur eigenen „Belt-and-Road-Initiative“ zu sehen. Über den pakistanische Hafen Gwadar, der von chinesischen Staatsunternehmen betrieben wird, ist China über die CPEC-Linie ohnehin schon mit dem Mittleren Osten verbunden. Eine Durchquerung des Irak würde Shanghai-EU-Logistikketten um ein weiteres effizientes Element bereichern. Für China könnte es sich also lohnen, als Investor einzusteigen, wenngleich bisher keine konkreten Zusagen bekannt sind.
Alternative Routen
Die Euphorie um Al-Faw und die Landbrücke hängt eng mit Sorgen um den Welthandel zusammen. Für mehr als ein Jahrhundert wurde der Seeweg über das Rote Meer und den Suezkanal als Lebensader zwischen Asien und Europa verstanden. Einzelne Logistik-Experten sehen den Suezkanal deswegen unter Druck. Doch zumeist wird das Irak-Projekt als sinnvolle Ergänzung begriffen, auch weil der Warenumschlag insgesamt zunehmen wird. Analysten rechnen vor, dass neue Routen dazu dienen können, schnell wachsende Handelsvolumina „aufzusaugen“, ohne Ägyptens Erlöse schmälern zu müssen. Zudem könnte die Gefahr durch Ereignisse wie das Ever-Green-Unglück (2021), Engpässen durch Bedrohungslagen im Roten Meer oder andere Unwägbarkeiten verringert werden.
Für Europa und speziell Deutschland bedeutet das Projekt vor allem eines: Diversifizierung der Lieferketten. Fast die Hälfte des deutschen Handels mit Fernost läuft nach wie vor über den Seeweg. Ein verlässlicher zusätzlicher Landkorridor könnte Lieferungen beschleunigen und ausfallsicherer machen.
Dennoch weckt das Großprojekt Entwicklungsstraße auch Irritationen. Washington hat bislang keine offizielle Position zur Entwicklungsstraße bezogen. Doch dürfte man dort ambivalent auf die Irak-Route schauen. Die USA werben etwa für den konkurrierenden Indien-Mittlerer Osten-Europa-Korridor (IMEC), der – anders als die Irak-Route – über Israel und Jordanien laufen würde.
Brücke in die Zukunft
Das Al-Faw-Projekt ist derweil mehr als eine nationale Großbaustelle: Es steht als Symbol für Iraks Strategie, aus der geografischen Zwangslage umgeben von vielen Nachbarn eine Chance zu machen. Das Land arbeitet mit Hochdruck eng mit den Nachbarn und internationalen Partnern zusammen, um den neuen Logistik-Korridor Realität werden zu lassen. Der Nachbar Türkei sieht sich ohnehin als „natürliche Brücke“ des Nord-Süd- und Ost-West-Verkehrs, die Golfstaaten wollen ihre Investitionsbeziehungen vertiefen, und selbst der Iran wägt ab, inwiefern ihm ein wirtschaftlich blühender Nachbar langfristig eher nützen könnte.
Untersuchungen prognostizieren tausende neue Arbeitsplätze und jährlich mehrere Milliarden Dollar Mehrwert für den Irak.
Für Europa bedeutet der Plan jedenfalls: Ein weiterer Strang im Netz globaler Handelsrouten. Neben Suez, neben anderen Korridoren. Der Irak hat seine große Stunde noch vor sich. Er kann zu einer höchst lebendigen Handelsachse werden – eine echte Brücke zwischen Ost und West.
von: Raimund Reinecke