Ab 20. November wird Katar eines der größten Sportfeste der Welt austragen: die Fußballweltmeisterschaft.

1,7 Millionen Besucher werden in nur vier Woche das Emirat besuchen, das selbst nur 3,2 Millionen Einwohner hat. Zum Vergleich: Das ist, als ob Deutschland für ein Mega-Fest rund 42 Millionen Besucher begrüßen würde.

Allein die logistischen Herausforderungen sind gewaltig. Rund 200 000 Besucher werden pro Spieltag am Hamad International Airport in Doha landen – zusätzlich zum normalen Flugverkehr. Der Flughafen ist darauf eingestellt: Er wurde in diesem Jahr zum zweiten Mal in Folge als bester Flughafen der Welt ausgezeichnet – vor Tokyo und Singapur. Zum Transport in die acht nagelneuen WM-Stadien steht ein öffentliches Transportsystem zur Verfügung. Das Schienensystem wurde von der Deutsche Bahn-Tochter DB International geplant. Die Tunnel zu den 39 Stationen der Doha-Metro bohrte das deutsche Unternehmen Herrenknecht. Deutsche Unternehmen waren wichtige Partner bei der Vorbereitung der WM in Katar.

Das Schienensystem war übrigens von Anfang an geplant als Bestandteil der Erschließung der Halbinsel für einen schienengebundenen Personen- und Frachtverkehr. Es verbindet Katar künftig mit dem Bahnnetz der Nachbarstaaten am Golf.

Die Regierung Katars hat die Fußball-WM ohnehin immer als Katalysator einer Entwicklung, wie sie bereits 2008 in der „Qatar Vision 2030“ beschrieben wurde, verstanden. Wie in anderen Ländern zuvor sollte das ehrgeizige Sport-Großprojekt die Entwicklung und Erneuerung von vor allem Infrastruktur und von Einrichtungen des öffentlichen Lebens voranbringen. Es sollte aber auch ausdrücklich „die gesellschaftliche und soziale Entwicklung beschleunigen“.

Katar ist immer noch “a nation in the making“ – eine Nation im Werden. Erst 1995 hat die Regierung die moderne Entwicklung des Landes planmäßig begonnen. Sportliche Großereignisse wie auch Tagungen und Kongresse gehörten von Anfang an zur nationalen Entwicklungsstrategie. Die Weltklimakonferenz COP 18 beispielsweise fand 2012 in Doha statt.

Katar macht sich als Standort für internationale Veranstaltungen seine gute geografische Lage zunutze. Von kaum einem anderen Ort der Erde als am Golf können – in wenigen Flugstunden – so viele Menschen in annehmbaren Zeitkorridoren miteinander in Verbindung gebracht werden. Real oder per Satellit. Dass einige der größten und bedeutendsten Airlines der Welt wie Qatar Airways ihre Heimatflughäfen am Golf haben, ist kein Wunder.

Die WM in Katar bietet in vielerlei Hinsicht absolute Premieren. Es wird die erste Fußball-WM in einem arabischen Land sein, die erste in einem muslimisch geprägten Land und die erste in einem Wüstenland. Das genau waren einige der Argumente, mit denen sich Katar im Jahre 2010 um die Fußball-WM beworben hat.

Katar, das wegen seiner Gasvorkommen über erhebliche staatliche Mittel verfügt, wollte vormachen, dass ein Weltereignis wie eine Fußball-WM in Zukunft auch in Ländern wie im Wüstenland Katar stattfinden kann. Immerhin lebt fast ein Drittel der Menschheit in ariden Klimazonen. Katar wollte zeigen, dass das möglich ist – mit nachhaltiger Energieproduktion für kühlbare Stadien; mit rückbaubaren Stadien, die hinterher in anderen Ländern Verwendung finden; mit kürzesten Wegen und einer Verkehrs-Infrastruktur, die es möglich macht, wenige Spiele in kurzer Zeit zu besuchen, ohne die Umwelt stark zu belasten. Dass die WM nun nicht im Sommer stattfindet, sondern dann, wenn auf der Nordhalbkugel der Erde Winter herrscht, war nicht die Entscheidung Katars. Das hat die FIFA entschieden. Katar war bereit für die Spiele im europäischen Sommer. Gekühltes Bier hätte es außer in den Hotels auch in gekühlten Fan-Zones gegeben.

Hassan Al-Thawadi sagt im Rückblick auf die Bewerbung seines Landes für die WM: „Wir waren damals der Meinung, dass es für den arabischen Fußball an der Zeit war, international zu glänzen. Deswegen haben wir uns beworben. ‚Die Zeit ist reif‘ war damals unser Slogan“.

Drei Millionen Tickets sind mittlerweile auf den Markt gebracht worden, von denen bereits 2,5 Millionen verkauft sind, 600 000 davon in Deutschland. Den Besuchern werden rund 130 000 Betten zur Übernachtung zur Verfügung stehen. In Hotels, viele davon aber auch auf Kreuzfahrtschiffen, in privaten Häusern und in Gemeinschaftszelten. Die Preise sind staatlich reguliert, so dass eine Preistreiberei wegen Knappheit möglichst vermieden werden soll, wie sie andernorts vielfach zu beobachten war.

Manche Besucher werden aus den Nachbarländern zu den Spielen einfliegen. Das war von Anfang an so vorgesehen, da Katar seine Bewerbung als Impuls für die Entwicklung der gesamten Region verstanden hat. „Es wird ein arabisches Turnier sein. Es wird das erste Turnier in der arabischen Welt sein“, sagt Hassan Al-Thawadi, der Organisationschef des Supreme Committee, das seit 2010 die WM zielstrebig organisiert. „Wir wollten zeigen, dass die arabische Welt zu so etwas in der Lage ist.“

Al-Thawadi hat in den zurückliegenden Jahren auch die Entwicklung der sozialen Standards in seinem Land beobachtet und begleitet. Dazu gehören die Arbeitsrechte, die hierzulande vielfach in der Kritik stehen.

Mittlerweile haben Katars Standards im Baugewerbe Vorbild-charakter, wie die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) der Vereinten Nationen feststellt. Auch Dietmar Schäfers von dem Internationalen Dachverband der Bauarbeitergewerkschaften lobt die Behörden in Katar für Fortschritte. Er glaubt, dass die Vergabe der WM an Katar erheblich dazu beigetragen habe, dass die Bedingungen sich verbessert haben. Den Impuls zur Verbesserung, der von außen kam, will Hassan Al-Thawadi nicht abstreiten. Er gesteht freimütig ein, dass die Arbeitsbedingungen in Katar vor der Bewerbung „nicht den wünschenswerten Standards entsprochen“ haben. Al-Thawadi meint aber, dass die „National Vision 2030“ explizit auch zum Ziel gehabt habe, die soziale und gesellschaftliche Entwicklung insgesamt voranzutreiben. Also auch die Arbeitsbedingungen. Er ist nicht mit allem zufrieden, was seitdem erreicht worden ist, „aber wer kann schon sagen, dass er perfekt ist?“

Katar bekam im Vorfeld der WM einigen Gegenwind. Gelegentlich wird in westlichen Ländern beklagt, dass man die WM nicht an Katar hätte vergeben dürfen, weil Katar angeblich keine Fußball-Tradition habe. Ein etwas kurioser Vorwurf, den man gegenüber einem Entwicklungsland wohl nicht ernsthaft erheben sollte. Dann sonst würde man wohl in gut 100 Staaten auf der Welt niemals eine Fußball-WM austragen dürfen, und die angestammte Fußball-Elite bliebe unter sich. Zudem: Gelegentlich wird übersehen, dass Katar seit 1963 eine Profi-Liga hat, in der auch viele internationale Stars gespielt haben. Darunter Pep Guardiola, Raúl, Xavi, Gabriele Batistuta – und aus Deutschland unter anderen Mario Basler und Stefan Effenberg. Nicht nur die Bundesliga holt sich ihre Stars mitunter aus dem Ausland.

Sehr unwahrscheinlich, dass der Gastgeber fußballerisch überrascht. Obwohl: Katars Nationalmannschaft gewann 2019 die Asienmeisterschaft, in einem Turnier mit 24 Mannschaften, zu denen Fußballnationen gehörten wie Australien, China und Südkorea. Gegen Südkorea hat Deutschland zuletzt bei der WM in Russland 0:2 verloren.

Endspielgegner in dem Turnier, das Katar 2019 gewann, war übrigens Japan. Japan ist am 23. November der erste Gegner der deutschen Nationalmannschaft bei der WM in Katar. Da wird womöglich schon mal eine Standortbestimmung möglich sein.

Schaun mer mal.

Von Jürgen Hogrefe