Energie bleibt das beherrschende Thema in der arabischen Welt. Mit neuem Unternehmergeist planen, bauen, betreiben und finanzieren Firmen aus der Golf-Region mittlerweile Wind- und Solaranlagen – auch in Afrika. Mit Hilfe deutscher Technologie wird die Wasserstoffwirtschaft zügig in Angriff genommen. Öl und Gas werden auf absehbare Zeit die unverzichtbare Konstante für eine sichere und günstige Energieversorgung bleiben.

Der Ukraine-Konflikt war ein Katalysator. Vor allem Europa und hier besonders Deutschland sorgen sich um die sichere Versorgung mit günstiger Energie. Die Preise von Öl und Gas zogen enorm an und die globalen Märkte sortieren sich neu. Die OPEC und hier besonders die arabischen Länder treten mit einem neuen Selbstbewusstsein und mit einem neuen Selbstverständnis auf: Die arabische Welt ist und bleibt wichtig für die globale wirtschaftliche Stabilität und Prosperität. Doch schon jetzt sind erheblichen Veränderungen im Gefüge und in der Struktur der Energie der Zukunft zu erkennen – in allen Sparten.

Stetig, aber unaufhaltsam sind Energieunternehmen vom Golf dabei, die Bewegungsrichtung ihrer unternehmerischen Entwicklung zu drehen. Jahrzehntelang wurde westliche Technologie an den Golf exportiert, zur Förderung und Verarbeitung von Öl und Gas. Der Export von Rohstoffen, von Petrochemie und Metallen spülte die Petrodollars in die ölreichen Länder. Neuerdings sind es mehr und mehr arabische Unternehmen, die die Produktionslandschaft zukunftsweisend verändern.

In den Ländern der Arabischen Liga wie auch in Afrika treten zunehmend arabisch geführte Unternehmen auf, die Wind- und Solarkraftwerke im Megawatt-Format errichten. In Ägypten, Jordanien, Marokko und Tunesien werden Milliarden investiert, Unternehmen wie Alfanar, ACWA Power (Saudi-Arabien) oder AMEA und Masdar (VAE) sind mittlerweile internationale Schwergewichte bei der Planung, Entwicklung und beim Betrieb von Großkraftwerken für Erneuerbare Energien (siehe Kasten S. 22)

Die nächste Weltklimakonferenz COP 28 wird vom 30. November bis 12. Dezember in Abu Dhabi stattfinden. Ihr Präsident wird Sultan Ahmed Al Jaber sein, der CEO des staatlichen Energiekonzerns Abu Dhabi National Oil Company (ADNOC). Im Zentrum der Diskussionen der Konferenz wird der Global Stocktake (GST) stehen: Dabei geht es um die Bestandsaufnahme der Maßnahmen, die seit 2015 ergriffen wurden, um das Pariser Abkommen umzusetzen. In Abu Dhabi sollen die teilnehmenden Vertragsstaaten der COP ihre Minderungszeile für klimaschädliche Gase vorstellen und gegebenenfalls aktualisieren. Hier fühlt der ADNOC-Präsident Al Jaber die Vereinigten Emirate durchaus in einer nachahmenswerten Position. Kritik an seiner Nominierung an dieser wichtigen Schaltstelle für die Klimapolitik der Zukunft weist er mit Hinweis auf die Anstrengungen und Erfolge seines Landes im Bereich der Nachhaltigkeit freundlich zurück.

Tatsächlich haben die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) 2020 eine umfassende Klimastrategie formuliert. Bis 2050 sollen rund 165 Milliarden US-Dollar in Erneuerbare Energien und Nachhaltigkeit investiert werden. Der Ausbau von Erneuerbaren Energien soll bei 44 Prozent liegen, Kernenergie soll sechs Prozent des Energiemixes liefern. 2050 wollen die VAE klimaneutral sein.

Mit seinen Milliardeninvestitionen im eigenen Land, aber auch mit seinen finanziell und technisch unterfütterten Aktivitäten in anderen arabischen Ländern und in Afrika sehen sich die VAE auf einem guten Weg. Zumal beim Thema Wasserstoff. ADNOC stellte im November 2020 einen Fünfjahresplan zum Thema vor. Die Produktion und der Export von blauem Wasserstoff (auf Basis von Gas) stehen dabei auf der Prioritätenliste weit oben. Wegen des reichlich vorhandenen Gases und der Nähe zu führenden Märkten sehen die Emiratis gute Chancen, künftig eine führende Rolle zu übernehmen. Die Zusammenarbeit mit Unternehmen aus Japan, Indien und Südkorea ist beschlossen. Der grüne Wasserstoff wird folgen. Auch mit Deutschland will man im Rahmen der deutsch-emiratischen Energiepartnerschaft hier eng zusammenarbeiten.

Siemens Energy schloss bereits im Jahr 2021 eine strategische Partnerschaft mit der Mubadala Investment Company, der weltweit tätigen Investmentgesellschaft aus Abu Dhabi. Der Essener Konzern thyssenkrupp und ADNOC haben Mitte Januar ein Memorandum of Understanding (MoU) unterzeichnet, um eine langfristige Partnerschaft zur Schaffung neuer Märkte für Wasserstoff und zur Förderung globaler Wertschöpfungsketten für saubere Energie zu erkunden.

Im Mittelpunkt dieser Vereinbarung steht die gemeinsame Entwicklung eines großtechnischen Ammoniak-Crackverfahrens, mit dem nach dem Transport in andere Märkte Wasserstoff aus Ammoniak gewonnen wird. Die Spitzentechnologie zur Zerlegung des H2 stammt vom Anlagenhersteller thyssenkrupp Uhde, der sie bereits in mehr als 130 großen Chemieanlagen auf der ganzen Welt einsetzt. Die beiden Partner wollen Projekte für große Ammoniakspaltanlagen weltweit erkunden und entwickeln.

Ammoniak gilt als ein idealer Wasserstoffträger, da es einfach zu komprimieren und zu transportieren ist. Nach der Verschiffung muss das Ammoniak am Bestimmungsort in Wasserstoff zerlegt oder „gecrackt“ werden, bevor es in der Energiewertschöpfungskette verwendet werden kann.

Der deutsche Staatssekretär Stefan Wenzel aus dem Berliner Ministerium für Wirtschaft und Klimaschutz kam eigens zur Unterschrift unter das Abkommen nach Abu Dhabi. Er lobte die gemeinsame Entwicklung von großtechnischen Ammoniak-Crackern. Sie seien „ein wichtiger Meilenstein für den Aufbau der globalen Wasserstoffwirtschaft“. Der grüne Staatssekretär fand auch freundliche Worte für den deutschen Konzern: „Wir freuen uns sehr, dass thyssenkrupp Uhde mit deutscher Spitzentechnologie dazu beiträgt.“

ADNOC-Direktor Musabbeh Al Kaabi hofft durch die Zusammenarbeit mit den Deutschen die Position der VAE „als zuverlässiger Lieferant von kohlenstoffarmer Energie zu stärken, neue Einnahmequellen zu erschließen und den Weltmarkt für Wasserstoff zu vergrößern.“ Martina Merz, Vorstandsvorsitzende der thyssenkrupp AG, lobte die Kooperation denn auch als „ein perfektes Beispiel dafür, wie Partnerschaften den Wandel beschleunigen können, und ein perfektes Beispiel für thyssenkrupp Technologie im Herzen der grünen Transformation.“

Wasserstoff ist ein entscheidender Bestandteil der Energiewende, da er Energie für schwer zu elektrifizierende Sektoren wie den Fernverkehr, die chemische Industrie, die Eisen- und Stahlindustrie, die Raffinerien, die Schifffahrt, den LKW-Verkehr und die Stromerzeugung liefern kann. Wasserstoff könnte bis 2050 um die 18 Prozent des weltweiten Energiebedarfs decken. Auch der benachbarte Oman strebt mit großem Ehrgeiz an, sich in der Zukunftswelt der Wasserstoffwirtschaft weltweit zur Geltung zu bringen (siehe S. 14).

Bei aller Euphorie: Öl und Gas bleiben für die Gegenwart und die nahe Zukunft der globalen Energieversorgung unverzichtbar. „Während wir die Investitionen in Erneuerbare Energien erhöhen und die Energiewende vorantreiben, müssen wir auch die Investitionen in Öl und Gas erhöhen, um die Weltwirtschaft zu unterstützen und die Lebensqualität für alle zu schützen“, sagte Joseph McMonigle, Generalsekretär des International Energy Forum (IEF) in der saudischen Hauptstadt Riad.

Der saudische Außenminister Prinz Faisal bin Farhan Al Saud sagte vor einem Energiegremium, dass sich das Königreich für „stabile Ölpreise“ einsetzt, während die Welt auf Erneuerbare Energien umsteigt.“Der einzige Weg, wie wir zu einer sauberen Energiezukunft übergehen können, ist, wenn wir eine gewisse Stabilität in der Versorgung mit traditioneller Energie sicherstellen, während wir in Erneuerbare Energien investieren“, sagte der saudische Spitzendiplomat.

Der international renommierte Ökonom und Pulitzer-Preisträger Daniel Yergin („Der Preis”) stimmt zu: „Die Energiezukunft muss nachhaltig sein, aber auch sicher und erschwinglich.“ Angemessene Investitionen in fossile Energieträger seien „unerlässlich“, um Engpässe und Preisspitzen sowie die damit verbundenen wirtschaftlichen Härten und sozialen Turbulenzen zu vermeiden.“ Die Weltwirtschaft benötige „weiterhin eine angemessene und preisgünstige Versorgung mit Kohlenwasserstoffen und muss gleichzeitig den Ausbau der erneuerbaren Energien und kohlenstoffarmer Technologien vorantreiben“, meint Yergin.

Der neue katarische Premierminister Scheich Mohammed bin Abdulrahman Al Thani äußerte sich ähnlich und kritisierte die internationale Gemeinschaft dafür, dass sie sich „unerreichbare Ziele“ für die Energiewende setzt.

„Es ist unfair, von vielen Entwicklungsländern zu verlangen, dass sie ihre eigenen Ressourcen nicht erschließen, solange sie diese für ihre Entwicklung noch benötigen“, sagte der katarische Premier.

Die Analysten von S&P Global Commodity Insights haben berechnet, dass die jährlichen Investitionen in die vorgelagerte Öl- und Gasindustrie bis 2030 um 28 Prozent auf 640 Milliarden Dollar steigen müssen, um eine ausreichende globale Versorgung sicherzustellen. Die Investitionsausgaben dafür stiegen 2022 im Vergleich zum Vorjahr um 39 Prozent auf 499 Milliarden US-Dollar und damit auf den höchsten Stand seit 2014.

Das zurückliegende Jahr hat gezeigt, dass die hohen Energiepreise und ihre Volatilität verheerende Auswirkungen auf die Haushalte in der ganzen Welt hatten, wobei die ärmsten Menschen am stärksten betroffen sind. „Zu geringe Investitionen in Öl und Gas bedrohen die Energiesicherheit und verzögern den Fortschritt bei den Klimazielen, indem sie die Abhängigkeit von kohlenstoffintensiveren Optionen erhöhen“, heißt es bei S&P. Dem Bericht zufolge werden bis 2030 insgesamt 4,9 Billionen Dollar benötigt, um den globalen Marktbedarf zu decken, selbst wenn sich das Wachstum der Öl- und Gasnachfrage verlangsame.

 

Von Jürgen Hogrefe