Ägypten ist das wichtigste Zielland für ausländische Investitionen in Afrika geworden. Die Großprojekte der Regierung wie die Suez Canal Zone und der Bau einer neuen Verwaltungshauptstadt beflügeln die ägyptische Wirtschaft. Der Tourismus schwingt sich zu Rekordzahlen auf, erneuerbaren Energien nehmen in Rekordtempo zu. Trotz der aktuell schwierigen Finanzlage herrscht allerorten Optimismus.

Ägypten hat einige herausragende Merkmale, die das Land zu einem idealen Zielland für regionale und globale Investitionen machen. Zum Beispiel eine schnell wachsende, überwiegend junge Bevölkerung. Mittlerweile leben über 100 Millionen Menschen am Nil. Darüber hinaus die günstige geografische Lage, die den Nahen Osten, Europa, Afrika und Asien miteinander verbindet. Ein Traum für Logistiker. Dazu kommt der große einheimische Markt mit einer vielfältig aufgestellten Wirtschaft, die neuerdings kräftig expandiert.

2016 hatte die ägyptische Regierung ein ehrgeiziges Reformprogramm eingeleitet, die ein schnelles und nachhaltiges Wirtschaftswachstum bewirken sollte: Die ägyptischen „Vision 2030“ ist ein langfristiger strategischer Plan für nachhaltige Entwicklung in allen gesellschaftlichen Bereichen.

Der COVID-Pandemie konnte das Land deswegen schon mit einer beachtlichen Widerstandsfähigkeit begegnen, zumal zu Beginn der Pandemie sehr zügig Maßnahmen zur Lockerung der monetären Bedingungen, zur Unterstützung ausgewählter Sektoren und zur Mobilisierung von Auslandsfinanzierung beschlossen worden waren. Folglich nahm nach dem Ende der Pandemie die wirtschaftliche Erholung Ägyptens rasant Fahrt auf. Das reale BIP-Wachstum betrug im Finanzjahr 2021/22 6,6 Prozent. Das Wachstum wurde vor allem von den exportorientierten Sektoren getragen, einschließlich dem Tourismus, der Gasförderung und dem Suezkanal. Diese Bereiche profitierten besonders von der Wiederaufnahme des internationalen Reiseverkehrs und des Handels.

Dass die wirtschaftliche Erholung Ägyptens anschließend aufgehalten wurde, war nicht hausgemacht. Das lag an den ungünstigen globalen Entwicklungen. Verstärkt wurde dieser Effekt durch die anhaltenden Unterbrechungen der globalen Lieferketten, die durch den Russland-Ukraine-Konflikt verursacht wurden. Als die weltweite Nachfrage zu sinken begann, ging das BIP nach IWF-Schätzung um 4,0 Prozent zurück (Haushaltsjahr 2022/23).

Finanzhilfen von IWF und Weltbank stabilisieren die Wirtschaft

Die Währung wurde in weniger als einem Jahr dreimal abgewertet. Seit März 2022 hat das ägyptische Pfund gegenüber dem US-Dollar um fast 50 Prozent an Wert verloren. Im Dezember 2022 hat der IWF mit der Regierung über 46 Monate laufende „Erweiterten Fondsfazilität „(EFF) in Höhe von 3 Mrd. US-Dollar vereinbart. Damit ging eine Reihe von stringenten Reformen der Wirtschaftsgesetze einher. Dennoch befindet sich Ägyptens Wirtschaft einstweilen in einem schwierigen Zustand.

Die jährliche Gesamtinflation stieg im Januar 2023 auf 25,8 Prozent, den höchsten Stand seit fünf Jahren. Die Schuldenlast Ägyptens erhöhte sich und lag nach Schätzung der Regierung Ende 2022/23 bei 93 Prozent des BIP. Der instabile Wechselkurs, die hohe Staatsverschuldung und die wachsende Inflation erhöhten den Druck auf die bereits angespannten öffentlichen Finanzen und die Zahlungsbilanz. Der IWF bewertete jedoch positiv, dass der ägyptische Staat seine Bemühungen zur Verbesserung des Investitionsumfelds und zur Stärkung des Privatsektors fortsetzte. So war die im Februar 2023 von der Regierung getroffene Entscheidung, dem privaten Sektor Investitionsmöglichkeiten in 32 staatlichen Unternehmen anzubieten, von besonderer Bedeutung.

Die wirtschaftlichen Reformen sollen den Kreditgebern das Vertrauen geben, um ausreichende Mittel für die Deckung des Außenfinanzierungsbedarfs bereitzustellen. Nach Angaben von MEED wird Ägyptens Außenfinanzierungsbedarf für 2023 mindestens 19 Mrd. US-Dollar erreichen und auf 22,5 Mrd. US-Dollar im folgenden Jahr anwachsen. Der im März 2023 von der Weltbankgruppe für den Zeitraum von 2023 bis 2027 genehmigte neue Länderpartnerschaftsrahmen (Country Partnership Framework – CPF) erhält in diesem Zusammenhang eine enorme Bedeutung. Der CPF wird gemeinsam von der Weltbank (IBRD), der Internationalen Finanz-Corporation (IFC) und der Multilateralen Investitionsgarantie-Agentur (MIGA) umgesetzt. Er wird durch einen Finanzrahmen von 7 Mrd. US-Dollar an Krediten (1 Mrd. US-Dollar pro Jahr von der IBRD und etwa 2 Mrd. US-Dollar während der gesamten CPF-Periode von der IFC) und zusätzlich von Garantien der MIGA unterstützt.

Wachsende Auslandsinvestitionen in Großprojekte

Trotz der aktuell instabilen Wirtschaftslage ist das Vertrauen der Investoren gestiegen. Die Reaktivierung des ägyptischen Interbanken-Devisenmarktes hat ausländische Direktinvestitionen angezogen. Die Devisenreserven stiegen nach IWF-Schätzung von 31,5 Mrd. US-Dollar im Finanzjahr 2021/22 auf 37,1 Mrd. US-Dollar (2022/23) und sollen sich auf 47,2 Mrd. US-Dollar (2023/24) noch weiter erhöhen.

Die ägyptische Regierung hat erkannt, dass die Mobilisierung ausländischer Direktinvestitionen der Schlüssel zur Bewältigung vieler wirtschaftlicher Herausforderungen ist. So führte sie Ende 2022 eine offizielle Website für ein vereinfachtes Antragsverfahren für die so genannte „Goldene Lizenz“ ein. Sie ermöglicht Investoren, Land zu kaufen oder zu pachten und Projekte zu beaufsichtigen, ohne dass eine Genehmigung von verschiedenen Regierungsstellen erforderlich ist.

Der der UNCTAD-Investitionsbericht für 2023 bestätigt, dass Ägypten seine Position als wichtigstes Zielland für ausländische Direktinvestitionen in Afrika behauptet hat. Sie verdoppelten sich danach 2022 auf 11,4 Mrd. US-Dollar gegenüber 5,1 Mrd. US-Dollar im Vorjahr. Die Zahl der angekündigten Neuprojekte verdoppelte sich auf 161 Vorhaben, und internationale Projektfinanzierungen stiegen im Wert um zwei Drittel auf 24 Mrd. US-Dollar. Auch künftig wird Ägypten seine Großprojekte mit Unterstützung ausländischer staatlicher und privater Investoren und Kreditgeber finanzieren.

Unter den Infrastrukturprojekten nimmt der Bau der neuen Verwaltungshauptstadt (New Administrative City – NAC), die etwa 45 km östlich von Kairo entsteht, einen bedeutenden Platz ein. Mit bisher geschätzten Kosten von 59 Mrd. US-Dollar ist es das größte in einer Reihe von Megaprojekten. Die neue Hauptstadt soll aus 21 Wohnbezirken mit bis zu 7 Mio. Einwohnern und 25 speziellen Bezirken bestehen. Sie wird unter anderem über etwa 2 000 Bildungseinrichtungen, einen Technologie- und Innovationspark, 663 Krankenhäuser und Kliniken, mehrere Solarenergie-Farmen, eine elektrische Eisenbahnverbindung mit Kairo und einen neuen internationalen Flughafen verfügen. Als eine Stadt, die von Grund auf neu entwickelt wird, ist die NAC ein Magnet für beträchtliche ausländische Direktinvestitionen in einem breiten Spektrum von Sektoren, darunter Immobilien, Energie, IKT, Bildung, Gesundheitswesen, Verkehr und Logistik.

Die Suezkanal-Wirtschaftszone – globales Handels- und Investitionszentrum

Auch der Ausbau der 2015 eingerichteten Suezkanal-Wirtschaftszone (SCZone) mit ihren vier Industriezonen und sechs Exportzonen schreitet weiter voran. So hat die AD Ports Group aus den VAE mit der SCZone im März 2023 vereinbart, Projekte in den Häfen von East Port Said, West Port Said und Al Areesh zu entwickeln. Anfang Juni 2023 hat der Verwaltungsrat der Suez Canal Economic Zone (SCZone) eine Reihe von Projekten mit internationalen Partnern in den Bereichen Fertigung, grüner Wasserstoff und Wasserentsalzung genehmigt. Zu Projekten gehört ein 100 Mio. US-Dollar-Stahlkomplex des chinesischen Unternehmens Cheng Feng Iron Production, das 600 000 Tonnen Stahl Coils (aufgerollte Bleche) jährlich herstellen wird, sowie eine 40 Mio. US-Dollar-Textilfabrik des chinesischen Bekleidungsherstellers ShanghaiShengda für die Industriezone West Qantara. Weitere vom Verwaltungsrat genehmigte Projekte sind das 610 Mio. US-Dollar-Projekt zum Bau einer Stahlfabrik in der Industriezone Ost-Ismailia, der Bau einer Reifenfabrik mit einer Produktionskapazität von 2,4 Millionen Einheiten pro Jah in der Industriezone Sokhna und ein 110 Mio. US-Dollar-Projekt der indischen Flex-Egypt und Orascom zum Bau eines Rohstofflagers für Industrieparks. Zwischen Juni 2022 und Mai 2023 wurden für die SCZone insgesamt 46 Projekte in Höhe von 3,6 Mrd. US-Dollar genehmigt. Der Wert der Investitionen in Häfen, die der SCZone angeschlossen sind, erreichte im gleichen Zeitraum 1,3 Mrd.US-Dollar. Zudem haben 43 weitere Projekte in den Industriezonen mit einem Investitionsvolumen von 4,6 Mrd. US-Dollar ebenfalls eine Grundsatzgenehmigung erhalten.

Grüner Wasserstoff und Infrastruktur

Ägypten hat seine Anstrengungen zur Entwicklung von grünem Wasserstoff beträchtlich erhöht. Die Suez Canal Zone wurde als Standort für die Ansiedlung dieser im Entstehen begriffenen Industrie bestimmt. Das indische Unternehmen ACME unterzeichnete im Juni 2023 einen Rahmenvertrag für ein grünes Wasserstoffprojekt in Sokhna mit einem Investitionsaufwand von 12 Mrd. US-Dollar und einer Gesamtkapazität von 2,2 Mio. t jährlich. Das zweitgrößte vorgeschlagene Projekt ist die Errichtung eines 3,6-GW-Wasserstoffproduktionszentrums in der Suez-Kanal-Wirtschaftszone durch die Globeleq Company mit Hauptsitz in Großbritannien. Gegenwärtig untersucht der Verwaltungsrat der SCZone weitere acht Projekte für die grüne Wasserstoffindustrie. Am 16. Juli kündigte Ägyptens Premierminister Mostafa Madbouly an, dass die Regierung den Bau von drei neuen Freizonen in Alexandria, in der Stadt des 10. Ramadan und in der Stadt des 6. Oktober erwägt.

Die Regierung modernisiert derweil auch Flughäfen, Häfen und Verkehrsnetze. Oberste Priorität ist es, die Städte mit angemessenen Verkehrsmitteln zu verbinden und die Straßen und Häfen für die Expansion der Industrie auszubauen. Das Verkehrsministerium hat Pläne für ein Hochgeschwindigkeits-Eisenbahnnetz, das alle neuen Städte über drei Strecken miteinander verbinden soll. Siemens soll die zweite und dritte Linie des Hochgeschwindigkeitszuges realisieren, einschließlich Signal- und Kommunikation, Eisenbahnarbeiten und elektromechanische Arbeiten. Im Mai 2022 unterzeichneten Siemens Mobility und seine Konsortialpartner Orascom Construction und The Arab Constructors mit der ägyptischen Tunnelbehörde National Authority for Tunnels (NAT), einer dem ägyptischen Verkehrsministerium unterstellten Regierungsbehörde, einen Vertrag über den Bau des sechstgrößten Hochgeschwindigkeitssystems der Welt. Der Siemens Mobility Anteil des kumulierten Auftragswerts beträgt 8,1 Mrd. Euro und beinhaltet den am 1. September 2021 unterzeichneten ursprünglichen Vertrag in Höhe von 2,7 Mrd. Euro für die erste Strecke. Ende 2022 hat DB International Operations, Teil der DB E.C.O. Group, einen Milliardenauftrag für den Betrieb und die Instandhaltung des ersten Hochgeschwindigkeitsnetzes in Ägypten erhalten., wie Niko Warbanoff, CEO der DB E.C.O. Group, gegenüber dem Africa Business Guide im März 2023 berichtete.

Erneuerbare Energien auf dem Vormarsch

Mit einer Strategie zur Diversifizierung der Energieversorgung (Integrated Sustainable Energy Strategy – ISES) hat sich Ägypten das Ziel gesetzt, den Anteil der erneuerbaren Energiequellen an seiner Stromerzeugung bis 2030 von gegenwärtig 20 auf 42 Prozent zu erhöhen. Das entspricht einer Erhöhung der Kapazität von 3,5 GW im Jahr 2020 auf 13,7 GW im Jahr 2030. Bei einer jährlichen Wachstumsrate von 14,6 Prozent. Dabei sollen die Photovoltaik (PV) und die Windkraft den Markt für erneuerbare Energien anführen. Aber es sollen auch fünf solarthermische Kraftwerke (Concentrated Solar Power Plants – CSP) im Wert von 1,2 Mrd. US-Dollar errichtet werden. Das vom saudi-arabischen Unternehmen ACWA Power mit einem Investitionsaufwand von 165 Mio. US-Dollar gebaute PV-Kraftwerk Kom Ombo mit einer Kapazität von 200 MW soll noch 2023 in Betrieb gehen und 130 000 Haushalte versorgen. Im Januar 2023 begann AMEA Power aus den VAE mit den Arbeiten an seiner 500-MW-Photovoltaikanlage, deren kommerzielle Inbetriebnahme für das 1. Quartal 2025 geplant ist. Ägypten plant, die kumulative Onshore-Windkapazität von 1,39 GW im Jahr 2020 auf 5,64 GW im Jahr 2030 zu steigern. Im Juli 2023 unterzeichneten die ägyptische Behörde für Neue und Erneuerbare Energien (NREA) und ein Konsortium aus dem Energieunternehmen Masdar/ VAE sowie den beiden ägyptischen Partnern Inifinity und Hassan Allam eine Vereinbarung über den Bau eines Windparks mit einer Leistung von 10 GW.

Nationale Strategie zur Tourismusförderung

Die Tourismusbranche trägt als wichtiger Wirtschaftszweig erheblich zum BIP des Landes bei. Er bietet Millionen von Ägyptern Arbeit. Mit seinen historischen Stätten, seinen außergewöhnlichen Landschaften und Stränden sowie seiner reichen kulturellen Vergangenheit gehört Ägypten seit Jahrhunderten zu den beliebtesten Reisezielen. Nach Angaben der Zentralbank beliefen sich die Tourismuseinnahmen 2021 auf 13 Mrd. US-Dollar gegenüber 3,8 Mrd. US-Dollar im Vorjahr und erreichten damit nahezu den bisherigen Höchstwert von 13,03 Mrd. US-Dollar, der 2019 erzielt wurde- vor Ausbruch der Pandemie. Auf den Tourismus entfielen 2021 etwa 5,1 % des BIP und 10,9 % der Gesamtbeschäftigung. Die Zahl der Touristen aus allen Ländern der Welt hatte 2010 mit 14,7 Millionen 2010 ihren bisherigen Höchststand erreicht. 2021 waren es schon wieder 11,7 Millionen.

Im November 2022 verkündete die Regierung eine Nationale Tourismusstrategie. Sie zielt darauf ab, bis 2028 etwa 30 Millionen Touristen nach Ägypten anzuwerben und die Ankünfte jährlich um 25-30 Prozent zu steigern. Dazu soll die Sitzplatzkapazität auf Flügen verdreifacht werden. Vereinfachte Visabestimmungen sollen den Tourismus ankurbeln. Die Investitionsrahmenbedingungen sollen verbessert und Investitionen in die Zimmerkapazität gefördert werden.

Die Bedingungen an den weltbekannten archäologischen Stätten, den Museen und anderen Sehenswürdigkeiten sollen verbessert werden: Besucherwege, Beschilderung, Karten, QR-Codes, umweltfreundlichen Fahrzeuge. E-Ticketing-Systeme mit einer web-basierten Plattform für den Erwerb von E-Tickets werden eingeführt.

Die Eröffnung des Großen Ägyptischen Museums in Kairo, dessen Fassade eine Hommage an die Pyramiden von Gizeh ist, wird das nächste touristische Highlight sein.

Die aktuellen Beispiele von Siemens und Deutsche Bahn E.C.O. beim Bau der Hochgeschwindigkeitsbahnstrecke und von ThyssenKrupp bei der Errichtung weiterer Düngemittelanlagen zeigen: Mit ihrem anspruchsvollen Leistungsprofil haben deutsche Unternehmen bei einer Vielzahl der Vorhaben sehr gute Chancen, an der Modernisierung Ägyptens teilzuhaben.

Von Dr. Bernd Jäckel
Der gelernte Volkswirt mit Spezialisierung auf Bank- und Finanzsysteme war als Exportkaufmann eines DDR-Außenhandelsbetriebes in Ägypten, Libanon, Jemen und Syrien aktiv. 1976 wechselte er in den diplomatischen Dienst der DDR, ab 1990 gehörte er dann dem Bundeswirtschaftsministerium an, wo er mehr als zehn Jahre als Referent für die arabischen Länder sowie Afghanistan, Iran und Israel zuständig war. Seit 2005 ist er selbständiger Berater für mittelständische Unternehmen und für die Ghorfa.