In den vergangenen Jahren hat das Königreich Marokko erhebliche Anstrengungen getätigt, um direkt vor den Toren Europas Afrikas größter Standort für die Automobilindustrie zu werden. Das Land hat zahlreiche Maßnahmen ergriffen, um ausländische Investoren anzuziehen, z. B. die Schaffung einer hochwertigen Infrastruktur, die Ausbildung von Humankapital und die Gewährung von Steuervorteilen. Die ausländischen Direktinvestitionen nehmen kontinuierlich zu, da die günstigen wirtschaftlichen Bedingungen des Landes, darunter Freihandelsabkommen mit der Europäischen Union und den USA, für Unternehmen attraktiv sind. Marokko unterzeichnete Abkommen über mehr als 25 Projekte der Automobilindustrie im Wert von 1,5 Mrd. US-Dollar, um sich als internationale Drehscheibe für die Automobilproduktion zu positionieren.

Die marokkanische Autoindustrie profitiert auch von der geografischen Lage des Landes, insbesondere seiner Nähe zu Europa. Obwohl das Land an Spanien grenzt, hat es völlig andere Kostenstrukturen. Nach Angaben des britischen Marktforschungsunternehmen LMC Automotive, das zu GlobalData gehört, betragen die Arbeitskosten etwa ein Viertel der spanischen und sind etwas niedriger als in Osteuropa. Renault-Nissan-Mitsubishi war bis zur Ankunft der Stellantis-Gruppe im Jahr 2019 der einzige globale Automobilhersteller, der in dem Land Fahrzeuge montierte. Bei Billigmarken wie Dacia und den Einstiegsmodellen von Peugeot machen die Arbeitskosten einen größeren Anteil der Fahrzeugkosten aus und sind damit ein wichtiger Grund für die Ansiedlung in Marokko.

Marokko hat mit der Cite de l’Automobile in Tanger und der Cite de l’Automobile in Kenitra zwei industrielle Plattformen geschaffen. Diese erhielten den Status einer Freizone, d.h. eine vollständige Befreiung von der Körperschaftssteuer für Unternehmen, die in diesen Zonen tätig sind, für fünf Jahre, gefolgt von einer Obergrenze von 8,75 % für die nächsten 20 Jahre. In unmittelbarer Nähe zu diesen Werken hat sich vor allem eine breite Zulieferindustrie entwickelt. Nach Angaben von Media24, Südafrikas führenden Medienunternehmen, das sich auf den marokkanischen Minister für Industrie und Handel, Ryad Mezzour, beruft, soll der Automobilsektor über 230 000 Arbeitsplätze, verteilt auf ca.260 Fabriken, verfügen. Weitere 60 Fabriken werden von Investoren geplant bzw. würden sich im Bau befinden. Nach Angaben von Morocco World News produziert das Land jährlich mehr als 700 000 Fahrzeuge mit einer lokalen Wertschöpfung von über 60 %. Ziel sei es, bis 2025 etwa 1 Mio. Fahrzeuge mit einer lokalen Wertschöpfung von 80 % zu produzieren. Wie der marokkanischen Minister für Industrie und Handel gegenüber Media24 weiter mitteilte, habe im vergangenen Wirtschaftsjahr der Exportwert der marokkanischen Automobilindustrie 111 Mrd. MAD (11,4 Mrd. US-Dollar) betragen. So sei der Automobilsektor zum größten Exportgut Marokkos geworden, noch vor dem Bergbausektor und mache 29 % der Gesamtexporte des Landes aus. Durch sein exponentielles Wachstum im Laufe der Jahre sei es Marokko gelungen, einen soliden Ruf in der Automobilindustrie als führender Exporteur auf dem afrikanischen Markt aufzubauen. Der Minister habe darüber hinaus mitgeteilt, dass er erwartet, dass der Exportwert im laufenden Wirtschaftsjahr 2023 auf 138 Mrd. MAD (14,2 Mrd. US-Dollar) wächst, was einem Anstieg um ca. 24 % entsprechen würde. Langfristig werden die zunehmenden Investitionen führender Automobilhersteller und die von der Regierung gebotenen Anreize die Automobilproduktion in Marokko maßgeblich vorantreiben.

Meldungen der marokkanischen Presse zufolge, steht das erste vollständig lokal hergestellte Auto Marokkos mit dem Markennamen NEO kurz vor seiner Premiere auf dem marokkanischen Inlandsmarkt. Der Mittelklassewagen wird gegen einige namhafte Konkurrenten antreten, darunter PKWs aus französischer Produktion von Renault, Peugeot und Citroën sowie Fiat aus Italien und etablierten Herstellern aus Asien. Es gibt noch nicht viele Details über den PKW, da die Hersteller darauf bedacht sind, das äußere Design unter Verschluss zu halten und gleichzeitig ihr geistiges Eigentum und ihre Betriebsgeheimnisse zu schützen. Aus Kreisen des Industrie- und Handelsministeriums wurde jedoch bekannt, dass das deutsche Unternehmen Opel den Motor herstellen wird. Berichten zufolge hat das Fahrzeug alle erforderlichen technischen Tests bestanden und wartet nun auf die behördliche Genehmigung für den Verkauf.

Die Einführung dieses Fahrzeugs kommt zu einem wichtigen Zeitpunkt. Die marokkanische Fahrzeugindustrie stellt auf die Produktion von Hybrid- und Elektroautos um, um den neuen Anforderungen der europäischen Märkte gerecht zu werden, auf denen der Verkauf neuer Benzin- und Dieselmotoren ab 2035 verboten sein wird. Deshalb besteht das nächste Ziel in der Dekarbonisierung der Industrie durch den verstärkten Einsatz von erneuerbaren Energien und grünem Wasserstoff. Wie LMC Automotive mitteilte, hat die Stellantis-Gruppe im November 2022 als Teil ihrer neuen Produktpalette den Citroën C3 als eines der ersten Fahrzeuge der Smart Auto-Plattform mit einem elektrischen Antriebsstrang vorgestellt.