Ungünstiger für Landwirtschaft kann ein Land kaum sein. Extreme Hitze, extreme Wasserknappheit und ein hoher Salzgehalt der Böden. Nicht automatisch verbindet man das Wüstenland Katar deswegen mit Landwirtschaft und Agritech. Und doch – oder gerade deswegen: Bei der Sicherstellung der Ernährung spielt das Emirat am Golf eine zunehmend wichtige Rolle, als Vordenker und als Investor.

Der durchschnittliche Niederschlag beträgt nur 74 Millimeter pro Jahr. Damit ist Katar eines der trockensten Länder der Welt. Kein Wunder also, dass bis zum Jahr 2018 nur 1,2 Prozent der Fläche Katars für Ackerbau und weniger als 6 Prozent für die Landwirtschaft genutzt wurden, einschließlich Viehzucht.

Um so erstaunlicher, dass Katar zwischen 2014 und 2019 die schnellste Wachstumsrate im Food-Sektor im Golfkooperationsrat (GKR) mit einer durchschnittlichen jährlichen Wachstumsrate (CAGR) von 15,2 Prozent aufwies. Im Rest der Region lag sie bei 4,3 Prozent. Allein zwischen 2017 und 2019 ist die heimische Lebensmittelproduktion um 400 Prozent gestiegen, und das Land verzeichnete 2018 eine Selbstversorgung von 82 Prozent mit Milchprodukten. Vor kurzem noch undenkbar: Katar entwickelt sich zu einem Lebensmittelexporteur in der Region. International steht das Land an 24. Stelle im Global Food Security Index und an erster Stelle unter den arabischen Nationen.

Früh hatte die Staatführung Katars die dramatische Unterversorgung mit Lebensmitteln aus eigenen Ressourcen als strategisches Problem verstanden. Deswegen wurde bereits 2008 das Qatar National Food Security Program (QNFSP) unter der Schirmherrschaft des jetzigen Emirs Tamim und unter der operativen Leitung des brillanten Strategen Fahad Al Attiyah eingerichtet.

Ein Weckruf und Beschleuniger für die massive Entwicklung der einheimischen Lebensmittelindustrie seither war die Blockade Katars von 2017 bis 2021, die auf Misshelligkeiten mit einigen Nachbarstaaten zurückging, die mittlerweile wieder beseitigt sind. Bis dahin hatte Katar 85 Prozent seines Gemüses von den Nachbarn importiert. Der Import von Milchprodukten lag bei 90 Prozent. Nicht viel anders bei Fleisch, Weizen und verarbeiteten Lebensmitteln. Von einem Tag auf den anderen war Katar von den Hauptströmen seiner Lebensmittelversorgung getrennt.

Der Schock saß tief. Noch jedem Katari wurde klar: „Food Security“ ist im wahrsten Sinne des Wortes überlebenswichtig für das Land und seine Bewohner. Allein seit dem Jahr 2000 hat sich die Katars Bevölkerung mehr als vervierfacht.

Auf Grundlage einer Qatar National Food Strategy (2018-2023) konnte die Führung des Landes schnell und erfolgreich agieren. Auch wegen der exzellenten internationalen Beziehungen Katars, zum Beispiel zu Deutschland, konnte das kleine Land diese Mega-Krise meistern. Aus Deutschland wurden hunderte von Kühen in Flugzeugen herangeschafft. Seitdem hat Katar hunderte von Millionen in den Kauf von Milchvieh, in Ausrüstung und Technologien investiert – hauptsächlich aus den USA und Europa. In der Milchproduktion ist das Emirat nun autark. Auch die beiden nachfolgenden Krisen – die Covid-Pandemie und die Ukraine-Krise – konnte Katar gut abpuffern.

Katar investiert über Hassad Food, einen Investitionsarm des Staatsfonds, in Agrarindustrie im eigenen Land und international. Im eigenen Land hält das Unternehmen finanzielle Beteiligungen an strategischen Schlüsselsektoren, die die Produktion und Vermarktung von Frischprodukten, Vieh, Milchprodukten, Tierfutter und Geflügel umfassen. Das Wachstum damit verbundener Dienstleistungen wie Kühlung und Lagerhaltung werden gezielt gefördert. Im Indoor Farming-Bereich machte Katar Schlagzeilen mit einem Investment in Infarm, der südkoreanischen Firma Nongshim, und Sunshine International Foods aus den USA.

Innerhalb der nächsten drei Jahre hat Katar das Ziel, 60 Prozent der lokalen Nachfrage an Lebensmitteln selbst zu produzieren. Hier tun sich große Möglichkeiten für deutsche Unternehmen und Forschungsinstitute auf. Das Ministerium für Umwelt plant, die Vieh- und Fischproduktion bis 2023 auf 30 Prozent, bzw. 65 Prozent zu steigern.

Katarischen Unternehmen und auch ausländischen Investoren bietet die Regierung in Doha lukrative Anreize. Diese reichen von der Bereitstellung von Produktionsmitteln wie chemischen, organischen Düngemitteln und Pestiziden für Gemüseproduzenten sowie der Bereitstellung von Kraftfutter, Impfungen und Medikamente für Viehzüchter bis hin zur Unterstützung bei der Vermarktung ihrer Produkte. Darüber hinaus erleichtert sie Investitionen in Fischzucht und den Meeresfischereisektor.

Ebenso bei der Fleischindustrie: Katar plant eine 200-Millionen Fabrik in Doha für zellkultiviertes Fleisch in Partnerschaft mit Eat Just. Insbesondere für europäische Fonds, die Portfoliofirmen im Bereich Fleisch auf Proteinbasis (Erbsen) und sogar Fischalternativen halten, ist eine strategische Partnerschaft mit lokalen Partnern und staatlichen Institutionen sehr interessant.

Für die Entwicklung solcher Industrien bietet Katar günstige Voraussetzungen: Die billigste Energie in der Region, eine geografisch günstige Lage und eine exzellente Infrastruktur: Qatar Airways, Hamad International Airport und der Tiefseehafen Hamad Port sind weltweit Spitze.

Weil die Weltbevölkerung bis 2050 um 2,2 Milliarden Menschen auf 9,8 Milliarden wachsen wird, verbindet Katar seine strategischen Interessen im Ernährungssektor mit Entwicklungsarbeit. So hat Katar hat mit der World Poultry Foundation (WPF) einen Fünfjahresvertrag unterzeichnet, um den Geflügelsektor in Sierra Leone und Gambia zu erweitern. Zudem hat der Qatar Fund for Development zusammen mit der Bill & Melinda Gates Stiftung die Nanmo-Initiative aus der Taufe gehoben, die in Afrika in klimaanpassungsfähige Landwirtschaft und Technologien investiert.

Katar hat aktuell den Vorsitz des Exekutivrates der Islamischen Organisation für Ernährungssicherheit inne. Um diesen Erfolgskurs weiterhin zu halten, bedarf es neben Tought-Leadership vor allem strategischen Denkens und entsprechender Umsetzungen – ein weiteres Feld für führende Beratungsfirmen.

Von den Ambitionen Katars im internationalen Zusammenhang zeugen auch zwei Konferenzen aus jüngster Zeit: Auf der fünften UN Conference on the Least Developed Countries (LDC5), zu der auch UN-Generalsekretär Guterres angereist war, kündigte Gastgeber Katar ein Finanzpaket in Höhe 60 Millionen US-Dollar zur Stärkung der Resilienz in den LDCs an.

Der von der Qatar Foundation (QF) organsierte Earthna-Gipfel 2023 konzentrierte sich auf Länder mit heißem und trockenem Klima. Hier ging es um die Anpassung an den Klimawandel vor dem Hintergrund von Nachhaltigkeit und globaler Energiewende.

Unternehmen, die in Nahrungsmittelsektor tätig sind, sollten die Expo 2023 auf dem Radar haben, die vom 2. Oktober 2023 bis zum 28. März 2024 stattfindet. Thema: „Green Desert, Better Environment“. Unterthemen sind Moderne Landwirtschaft, Technologie und Innovation, Umweltbewusstsein und Nachhaltigkeit.

Von Dr. Jeremias Kettner:
Dr. Jeremias Kettner ist deutscher Außenpolitikexperte, Wirtschaftsberater und zertifiziertes Aufsichtsratsmitglied. Mit seinem Buch „Deutsche Außenpolitik gegenüber Katar von 1999 – 2014“ schuf der Politikwissenschaftler das Standardwerk über die Beziehungen zwischen den beiden Ländern. Ein Buch über „Leadership und Public Diplomacy in Katar“ erscheint demnächst bei Palgrave Macmillan. Sein Unternehmen The Bridge hat sich auf politische Risikoanalyse, Stakeholderdialoge, BD und Investitionsanbahnung spezialisiert. Kettner fungiert bei Roland Berger als Senior Expert und ist Senior Fellow bei Agora Strategy.

Quelle: SOUQ-Magazin