Seit dem Regierungswechsel in Berlin nähern Marokko und Deutschland sich einander wie nie zuvor. Die diplomatischen Verstimmungen, welche die Beziehungen über das vergangene Jahr hinweg überschatteten, sind nun beseitigt und es wird beiderseits einem fruchtbaren Neuanfang entgegengesehen. Eine Entwicklung, die sich auch in einer weiterhin wachsenden Teilhabe deutscher Unternehmen in Marokko niederschlagen wird.

Den Stein ins Rollen brachte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. In einer Neujahrsbotschaft an König Mohamed VI lobte Steinmeier „die Rolle Marokkos im Kampf gegen den Klimawandel und im Bereich der Energiewende“ und unterstrich, dass dank seiner dynamischen Entwicklung in den vergangenen 20 Jahren Marokko zu einem wichtigen Investitionsstandort für deutsche Unternehmen in Afrika geworden ist. Der Bundespräsident und ex-Außenminister bot Marokko „eine vertiefte und eine Vielzahl von Arbeitsbereichen abdeckende Partnerschaft“ an. Zur Vertiefung der Beziehungen lud der Bundespräsident den marokkanischen König zu einem Staatsbesuch in Deutschland ein. Den hatte es zuletzt 1965 gegeben.

Der freundliche war mehr als nur eine diplomatische Geste. Am 16. Februar sprachen – seit mehr als einem Jahr Pause – die Außenminister der Länder wieder miteinander – per Video-Konferenz. Anna-Lena Baerbock betonte dabei die „besondere Qualität“ der Beziehungen. Ihr marokkanischer Kollege Nasser Bourita hob das Interesse Marokkos an „engen freundschaftlichen Beziehungen zwischen beiden Ländern hervor. Die beiden Minister kamen überein, dass die Zusammenarbeit in allen Bereichen und unter Einbeziehung aller Akteure wieder aufgenommen werden soll. Dem Treffen der beiden Außenminister war die Erleichterung darüber anzumerken, dass man nun wieder miteinander spricht.

Zuletzt war zwischen den traditionell freundschaftlich verbundenen Ländern Funkstille eingetreten, nachdem die Regierung Merkel die Auffassung Marokkos zur Westsahara-Frage nicht teilen wollte, die durch die Politik des damaligen US-Präsidenten gestützt worden war. Nun einigte man sich in Rabat und Berlin darauf, die „in ihren Beziehungen aufgetretenen Missverständnisse zu überwinden“ – und in die Zukunft zu schauen. Schon im Februar kehrte die marokkanische Botschafterin Zahour Aloui wieder nach Berlin zurück. Die Ernennung des neuen deutschen Botschafters, eines hochkarätigen Diplomaten und ausgewiesener Afrikaspezialisten, soll in Kürze erfolgen.

Erleichterung darüber gab es auch und vor allem im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusam-menarbeit (BMZ). Marokko ist seit vielen Jahren ein wichtiger Partner der deutschen Entwicklungs-zusammenarbeit. Im Jahr 2020 waren rund 1,4 Milliarden Euro von deutscher Seite zugesagt wor-den, unter anderem zur Abfederung der Folgen der Corona-Krise sowie im Rahmen der Reform-partnerschaft.

In Marokko sind rund 300 Mitarbeiter der Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) stationiert, die Zusammenarbeit mit den marokkanischen Partnern war besonders erfolgreich. Marokko konnte sich, nicht zuletzt wegen der Unterstützung durch GIZ und die Entwicklungsbank KfW im Bereich der Erneuerbaren Energien als Vorreiter in Afrika hervortun. Mit Blick auf die ehrgeizigen Energie- und Umweltziele der aktuellen Bundesregierung ist nun eine einheitliche Haltung der deutschen Regierung zu Marokko über die Ressorts hinweg zu erwarten. In BMZ-Kreisen wird daher mittlerweile sogar von einer „guten Krise“ gesprochen, auch wenn der politische Stillstand eine Verzögerung von Projekten der deutsch-marokkanischen Energiekooperation nach sich zog.

Der Neuanfang birgt ein großes Potential für deutsche Wirtschaftsakteure. Auch wenn Frankreich und Spanien nach wie vor die größten Investoren im Königreich bzw. dessen wichtigste Handelspartner sind, ist das Engagement deutscher Unternehmen in Marokko in den vergangenen Jahren erheblich angestiegen. Selbst im Jahr 2021 nahm der Handelsaustausch trotz der schwierigen diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Ländern noch zu. Zwischen Januar und November 2021 stiegen laut der AHK Marokko die deutschen Exporte im Vergleich zum Vorjahr um 14 %. Seit 2010 hat sich der Bestand deutscher Direktinvestitionen mehr als versechsfacht. Es wird erwartet, dass diese Entwicklung sich nun mit neuem Elan weiter beschleunigen wird.

Das Königreich Marokko gilt mit Südafrika als attraktivster Investitionsstandort des afrikanischen Kontinents. Im Ease of Doing Business Ranking der Weltbank belegte das Königreich im Jahr 2010 noch Platz 128. 2020 kann es bereits Platz 53 für sich beanspruchen und rangiert damit vor Ländern wie Italien, Griechenland, Tunesien oder Malta. Insbesondere durch seine politische und makroökonomische Stabilität, den freien Marktzugang und gut ausgebaute Infrastruktur und Logistik hebt Marokko sich als Investitionsstandort in der Region ab. Für Marokko sprechen außerdem eine moderne Verkehrs- und Telekommunikationsinfrastruktur und niedrige Produktionskosten.

Aufgrund seiner geographisch günstigen Position konnte sich der Maghrebstaat in den letzten Jahren zudem zu einem Logistikdrehkreuz und Handelszentrum zwischen Europa und Subsahara-Afrika entwickeln. Laut Global Competitiveness Index hat Marokko afrikaweit die beste Infrastrukturqualität, auch dank des größten Containerhafens in Afrika, Tanger Med (siehe Kasten auf Seite 11). Aufgrund der unmittelbaren Nähe zur Europäischen Union sind Unternehmen für den Transport aber nicht auf den Containerverkehr angewiesen: ein Großteil der internationalen Lieferungen verläuft über den LKW-Verkehr. Auch mit Blick auf die derzeit pandemiebedingt gestörten Lieferketten aus Asien gewinnt Marokko nur 14 Kilometer von der europäischen Küste entfernt unter dem Stichwort Near Shoring, also der Nahverlagerung von Liefer- und Wertschöpfungsketten, zunehmend an Bedeutung.

Seit 2012 besteht im Hafen von Tanger eine Freihandelszone, und Zölle auf Industrieprodukte entfallen gänzlich. 2013 wurden Verhandlungen für eine noch umfassendere Integration im Rahmen einer Deep and Comprehensive Free Trade Area aufgenommen. Bislang kam es aber noch nicht zum Abschluss. Zudem ist das Königreich Partnerland der Euro-Mediterranean Partnership Initiative der EU, die nicht nur die wirtschaftlichen Beziehungen Richtung EU stärken, sondern auch die Beziehungen zwischen den jeweiligen mediterranen Anrainerstaaten festigen und den Handel intensivieren soll.

Im vergangenen September hatte die Präsidentin der EU-Kommission Ursula von der Leyen bei einem Treffen mit dem marokkanischen Premier Aziz Ajanuch bereits ein Investitionsvolumen der EU von 1,6 Milliarden EURO für Marokko angekündigt. Das Geld soll in den „grünen und digitalen Wandel“ fließen. Die finanzielle Hilfe ist Teil des 300 Milliarden schweren „Global Gateway“, der europäischen Antwort auf die „Belt and Road“-Strategie Chinas. Marokko ist das erste Land, das Mittel aus diesem Infrastrukturprogramm erhält.

Auch wenn Französisch nach wie vor die Verkehrssprache in Marokko ist, setzt sich Englisch zunehmend vor allem im Geschäftsverkehr durch. Das Rechtssystem ist stark französisch geprägt, wobei die Gemeinsamkeiten sich nicht auf ein historisches Erbe beschränken. Das Königreich bemüht sich um ein modernes und wirtschaftsfreundliches Rechtssystem und passt hierbei beständig seine Gesetze an den Europäischen Standard an. Hierbei wird jedoch immer noch zumeist auf die Rechts- und Gesetzeslage in Frankreich geschaut.Marokko zählt zu den wichtigsten Investoren im frankophonen Westafrika, insbesondere in Côte d’Ivoire und Senegal. Marokkanische Institutionen und privatwirtschaftliche Akteure bieten sich daher als geeignetes Vehikel für den dortigen Markteintritt an.

In der verarbeitenden Industrie konnte sich Marokko bereits als attraktiver Standort für die Automobilbranche positionieren, eine Expansion des Sektors wird staatlich gefördert. Marokko ist nahtlos in die Wertschöpfungsketten der europäischen Automobilindustrie eingebunden und hat 2020 Südafrika als größter Automobilhersteller Afrikas abgelöst. Rund 250 Firmen sind als Produzenten und Zulieferer vor Ort tätig, der Sektor hält rund 220 000 Arbeitsplätze vor. Die Branche macht einen Jahresumsatz von 8,3 Milliarden US-Dollar. Produziert werden überwiegend Pkw der französischen PSA-Marken Renault, Peugeot und Dacia – jedoch nicht ohne deutsche Zulieferer wie Leoni, Kromberg & Schubert, Prettl oder Fränkische Rohrwerke, welche sich an unterschiedlichen Standorten in Marokko niedergelassen haben.

Ein weiterer wichtiger Wachstumsbereich im High-Tech-Bereich ist der Luftfahrtsektor. Marokko beherbergt hier Zulieferer sowohl für Airbus als auch für Boeing. Hier halten rund 142 lokale Firmen etwa 17 000 hoch qualifizierte Jobs vor. Die Branche macht einen Jahresumsatz von 1,7 Milliarden US-Dollar. Ein großes Entwicklungspotenzial besteht weiterhin im Bereich der Umwelttechnik, etwa bei modernen Lösungen zur Verbesserung des Wasser- und Abfallmanagements.

Ein mittlerweile traditionell wichtiger Sektor in Marokko ist die Erzeugung erneuerbarer Energie aus Wind, Wasser und Sonne. Beim Ausbau erneuerbarer Energien ist das Königreich regionaler Vorreiter und hat es geschafft, große Prestigeprojekte erfolgreich durchzuführen. Weltweit gehört Marokko mit einer installierten Gesamtkapazität von 530 Megawatt aus solarthermischen Kraftwerken (CSP) im Jahr 2019, nach Spanien und den Vereinigten Staaten, zu den führenden Ländern bei der CSP-Solartechnologie. CSP gilt vor allem wegen seiner Fähigkeit, Energie günstig zu speichern als vielversprechende Technologie bei der globalen Energiewende. In der Planung ist ein Hybrid-Kraftwerk mit 525 MW Leistung, das die Vorteile beider Solartechnologie – PV und CSP – miteinander kombiniert. Auch hier wird die KfW mitfinanzieren. Im weltweiten Vergleich, bezogen auf nationale Bemühungen und bedeutende Entwicklungen im Klimaschutz, platziert sich Marokko auf einer Spitzenposition. Darauf aufbauend liegt Marokko in der gesamten MENA-Region auch beim Zukunftsthema Wasserstoff weit vorn.

An den vorbereitenden Studien für den Bau der ersten großtechnischen Produktionsanlage für grünen Wasserstoff auf dem afrikanischen Kontinent war neben dem Marokkanischen Forschungsinstitut für Solarenergie und Energieformen (IRESEN) auch die Fraunhofer-Gesellschaft beteiligt. Der in Marokko erzeugte Wasserstoff könnte vor allem auf zwei Arten verwendet werden: für die Herstellung von grünem Ammoniak in der Düngemittelindustrie, die in Marokko bereits ein wichtiger Wirtschaftszweig ist, und für die Herstellung „grüner Derivate“ vom Typ Power-to-X, wie Kraftstoffe und synthetische Brennstoffe.

Im Rahmen der Marokkanisch-Deutschen Energiepartnerschaft haben die GIZ und das marokkanische Energieministerium in Zusammenarbeit mit IRESEN Studien durchgeführt, um einen spezifischen Fahrplan für die Entwicklung einer PtX-Industrie in Marokko in den kommenden Jahrzehnten zu erstellen. Diese Arbeit diente als Grundlage für die marokkanische Strategie für grünen Wasserstoff, welche im Oktober 2021 offiziell veröffentlicht wurde. Marokko könnte einer der wichtigsten Exporteure von grünem Wasserstoff und Power-to-X-Produkten nach Europa und Deutschland werden. Der bilaterale Kontakt zwischen den beteiligten Institutionen ist bereits wieder hergestellt. Noch im März 2022 wird nun der zweite World-PtX-Summit des IRESEN in Marrakesch stattfinden, bei dem sich sowohl der öffentliche als auch der private Sektor zum weiteren Vorgehen austauschen werden. Auch dies spricht für eine baldige Wiederaufnahme der gewohnten deutsch-marokkanische Dynamik auf dem Gebiet des grünen Wasserstoffes.

Im Bereich Erneuerbare Energie gibt es jedoch auch in Marokko noch grundsätzlichen Regelungsbedarf. Im Gegensatz zu Deutschland, wo sich die Energiewende eher dezentral etabliert hat und eine Vielzahl von Akteuren selbst Energie erzeugen und in das Netz einspeisen kann, wurde der Ausbau der erneuerbaren Energien in Marokko weitgehend staatlich initiiert und zentralisiert. Lediglich zwei staatliche Institutionen können insbesondere Wind- und Solarkraftwerke bauen und betreiben: Das Office national de l’électricité et de l’eau potable (ONEE), dem auch das marokkanische Stromnetz gehört, und die Agence marocaine pour l’énergie durable (MASEN), die 2010 gegründet wurde, um Solar- und Windkraftwerke zu entwickeln, auszubauen und zu betreiben. Entsprechend stammt die in Marokko erzeugte erneuerbare Energie hauptsächlich aus sehr großen Energieprojekten wie Solaranlagen und Windparks, von denen die meisten zum Teil von internationalen Entwicklungsbanken finanziert wurden. Die deutsche Entwicklungsbank KfW hat beispielsweise 830 Millionen Euro zum Bau des Noor-Solarkraftwerks beigetragen, was gut einem Drittel der Gesamtinvestition entspricht.

Der private Energiemarkt ist jedoch nach wie vor klein, da Unternehmen, Kommunen und Privathaushalte zwar Strom für den Eigenbedarf erzeugen dürfen, den Überschuss aber immer noch nicht in das öffentliche Netz einspeisen dürfen. Obwohl seit Jahren Anstrengungen unternommen werden, um den Strommarkt zu liberalisieren, befindet sich der hierfür erforderliche Rechtsrahmen immer noch in der Entwicklung.

Die kontinentale Vorreiterrolle Marokkos im Bereich erneuerbarer Energien könnte deutschen Investoren neben Möglichkeiten auf dem marokkanischen Markt auch Perspektiven für weitere afrikanische Märkte geben. Die marokkanische Agentur für nachhaltige Energie (MASEN – Moroccan Agency for Sustainable Energy) hat sich in der Sahelzone etabliert und nimmt bei der Entwicklung der Initiative Desert to Power, unterstützt von der afrikanischen Entwicklungsbank, eine bedeutende Rolle ein. Das Projekt umfasst bis 2030 den Aufbau an Kapazitäten von bis zu 10 Gigawatt Solarenergie. Weitere Projekte stehen weiter südlich auf dem Plan. Der Einsatz deutschen Know-hows könnte also auch über die südlichen Grenzen Marokkos hinweg ausgebaut werden.

Das Königreich Marokko, das sich als Tor zu Afrika sieht, ist auf dem Sprung zur umfassenden Modernisierung. Die neue vertiefte Partnerschaft zwischen Deutschland und Marokko verspricht einen rasanten Aufschwung der wirtschaftlichen Beziehungen und birgt somit ein enormes Potential für deutsche Unternehmen.

Von: Zakaria Korte ist Rechtsanwalt (Berlin) und Avocat à la Cour (Paris). Vom eigenen Büro in Rabat aus befasst er sich speziell mit dem Wirtschaftsrecht der Maghreb-Staaten und berät deutsche Unternehmen vor Ort. Korte war in die beiderseitigen Bemühungen zur Überwindung der diplomatischen Krise vermittelnd einbezogen.