Die globale Ausbreitung des COVID-Virus führte zu einer nie gesehenen Störung der Lieferketten. Logistik-Unternehmen, Hersteller und auch die Kunden müssen sich noch längere Zeit darauf einstellen, dass sie nicht das bekommen, was sie benötigen – vor allem nicht zum vorgesehenen Zeitpunkt.

Mitten im schönsten kalifornischen Sommer, im August, warnte einer der größten amerikanischen Hersteller von Kinderspielzeug vor Problemen zu Weihnachten: „Viele Kinder werden die Spielsachen, die sie sich wünschen, dieses Jahr nicht bekommen.“ Der Hafenchef von Los Angeles riet seinen amerikanischen Landsleuten, diesmal langfristig zu planen, damit die Weihnacht auch fröhlich sein kann: Die Eltern sollten ihre Geschenke für die Kleinen sehr zeitig bestellen, „damit sie am Heiligen Abend nicht mit leeren Händen dastehen.“

Der Hafenchef musste ja nur aus seinem Fenster schauen, um das drohende Desaster kommen zu sehen: Dutzende von riesigen Containerschiffen lagen teilweise wochenlang in Hafen und auf Reede vor Los Angeles, ohne entladen werden zu können. Nebenan in Long Beach sah es nicht anders aus: Über die beiden Häfen werden allein 40 Prozent aller Container für die USA umgeschlagen. Von seinen Kollegen in China hörte er das Gleiche: In den Häfen Yantian (Shenzen) und Ningbo-Zhoushan – zwei der fünf größten Häfen der Welt – stauten sich vor der Einfahrt 130 Schiffe. Allein in der ersten Junihälfte strichen 298 Frachter auf ihren weltweiten Fahrten den Stopp in Yantian. „Millionen Container kamen erst gar nicht oder viel später dort an, wo sie gebraucht wurden“, weiß auch Jochen Thewes, der CEO des Logistikunternehmens Schenker DB.

Die Pandemie hat zu einem latenten Infarkt der globalen Lieferketten geführt. Lieferengpässe gibt es rund um den Globus, auf allen Transportwegen, mit Waren für alle Branchen. Die Globalisierung ist an einem neuralgischen Punkt getroffen: der Zuverlässigkeit mit der Belieferung von Rohstoffen, Zwischenprodukten und Fertigwaren. Das weltweite Logistiksystem ächzt und knirscht in den Fugen. Die in Jahrzehnten entwickelten und erprobten Strukturen zeigen die Schwachstellen des Gefüges auf. Die Lieferketten sind fragiler als gedacht. Mancherorts sind sie gerissen.

Da wirkte die Blockade des Suez-Kanals durch eines der größten Containerschiffe der Welt im Suez-Kanal wie ein dickes Ausrufezeichen: „M/v Ever Given“ hatte sich – versehentlich – im April dieses Jahres wochenlang im Great Bitter Lake quer gestellt. Rund 400 Schiffe stauten sich an beiden Seiten des Kanals: Im Mittelmeer wie im Roten Meer. Der Zwischenfall im Suez-Kanal war „nur“ ein Unfall. Doch er fügte sich in die dramatische Lage, die die Pandemie insgesamt mit sich bringt.

Die globale Ausbreitung des Virus führte zu einer erheblichen Einschränkung des öffentlichen Lebens und zu massiven Auswirkungen auf Industrieproduktion. Die Regierungen der Staaten versuchten durch sehr unterschiedliche Instrumente wie Lock Downs, die Infektionszahlen zu reduzieren. China stoppte beispielsweise die Industrieproduktion in besonders betroffenen Gebieten wie Wuhan in der Hochphase der Pandemie nahezu komplett.

Die Pandemie führte zu weltweiten Veränderungen im Konsum- und Einkaufsverhalten, einschließlich einer Zunahme des elektronischen Handels. In der Folge stieg die Nachfrage nach Importen von Konsumgütern, von denen die meisten auf Containerschiffen transportiert werden.

Die Abriegelungsmaßnahmen wurden und werden sehr unterschiedlich gehandhabt. Zudem erholten sich die Volkswirtschaften in sehr unterschiedlichem Tempo. Mancherorts gab es großzügige Konjunkturpaketen zur Stützung der Verbrauchernachfrage – andernorts nicht.

Am Logistik-Knotenpunkt Südkalifornien fehlten COVID-bedingt 1800 Hafenarbeiter. Die Häfen waren überlastet, Kapazitätsengpässe traten auch in den nachfolgenden Binnenverkehrssystemen auf.

Die Ungleichzeitigkeit der Entwicklungen führte zum Aufbau von Lagerbeständen und zur Entwicklung des Frontloading. Beides hatte einen weiteren Anstieg der Containerhandelsströme zur Folge.

  • Die weltweiten Lieferketten, die wie geschmiert funktioniert hatten, gerieten aus dem Takt. Im Juli 2021 erreichten nur noch 22 Prozent der Containerschiffe aus Asien ihre Zielhäfen in Europa. Die große Mehrheit kam verspätet an, im Schnitt um acht Tage. Auftragseingänge europäischer Kunden bei chinesischen Produzenten reduzierten sich teilweise um über 50%.
  • Chinesische Bestellungen bei europäischen Lieferanten brachen teils massiv ein.
  • Bestellte Waren konnten in den Bestimmungshäfen teils nicht abgenommen werden, in Folge entstanden massive Rückstaus in den Häfen.

Die wirtschaftliche Erholung in China, Europa, den USA sowie im Nahen und Mittleren Osten trat deutlich schneller ein, als erwartet. Doch nicht überall zum selben Zeitpunkt. Dies alles führte zu massiven Beeinträchtigungen der Lieferketten: Ein sogenannten “Imbalance of Equipment” war die Folge. Diese wirkt sich bis heute in Wellenbewegungen weltweit aus.

Die Ungleichgewichte im Handel und die sich verändernden Handelsmuster führten zu geografischen Verschiebungen im Containerhandel. Leere Container wurden an Orten abgestellt, an denen sie nicht benötigt wurden, und eine Neupositionierung war nicht geplant. Darüber hinaus verschärfte sich das Missverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage nach Leercontainern, als die Reedereien „Leerfahrten“ einführten oder Häfen nicht anliefen, da leere Boxen zurückgelassen und nicht umpositioniert wurden.

Die Folge ist eine weltweite Containerkrise. Es gibt schlicht zu wenig verfügbare, planbare Container. Das Kapazitätsmanagement wurde zur zentralen Aufgabe der Spediteure. Eine der Folgen sind sie teilweise sprunghaft gestiegenen Logistik-Kosten. Auf bestimmten Verbindungen haben sich die Frachtkosten für einen Versand per See- oder Luftfracht um 300-400 Prozent erhöht. Diese massiven Steigerungen betreffen insbesondere die Verkehre von China nach Europa und in die USA sowie von Europa in die USA.

Verkehre aus China in den Nahen und Mittleren Kosten haben sich ebenfalls massiv verteuert.

In den USA hat Präsident Biden eine „Task Force“ zur Entwicklung eines „Rettungsplans“ ins Leben gerufen, „damit die Schecks auf die Bankkonten und die Waren vom Schiff ins Regal kommen“. Mit dabei sind einige der größten US-Importeure wie Walt-Mart, UPS, Fed-Ex und Home Depot. Beschlossen wurde unter anderem, große Häfen rund um die Uhr zu betreiben und Arbeitszeiten zu verlängern. Die Gewerkschaften stimmten zu.

Die Frage ist nun, wie die gestiegenen Frachtkosten abgefangen werden können.

Für Exporteure und Importeure ist es besonders wichtig, die Lieferkettenproblematik genau zu betrachten und frühzeitig Maßnahmen zu ergreifen. Ich empfehle folgende Maßnahmen:

  • Frühzeitige Planung Ihrer Verschiffungen und rechtzeitige Beauftragung Ihres Spediteurs. Derzeit sind häufig Vordispositionen von mehr als vier Wochen bei Seefrachtlieferung erforderlich.
  • Prüfung von alternativen Versandwegen bzw. Eingangshäfen. Statt Verschiffung nach Los Angeles kann man beispielsweise alternative Houston oder Chicago anfahren – mit Bahnnachlauf in den USA. Im China Verkehr kommen gegebenenfalls Bahnverladungen über die “New Silkroad” infrage.
  • Kaufverträge und Akkreditive sollten in Abstimmung mit der Hausbank und dem Spediteur frühzeitig angepasst werden. Gegebenenfalls müssen Laufzeiten verlängert, Alternative Häfen und Routen aufgenommen werden, sowie Force Majeure-Klauseln geprüft, bzw. eingefügt werden.
  • Prüfung ob die zu verschiffende Ware gegebenenfalls. an Standard-Containerabmessungen angepasst werden kann. Dies soll der Vermeidung von Überhöhen / Überbreiten dienen.

Wir müssen uns darauf einstellen, dass die Lieferengpässe noch eine Weile andauern, zumindest bis weit in das kommende Jahr hinein. Insgesamt brauchen wir erhebliche Anstrengungen – von öffentlicher wie privater Seite – um mehr Waren schneller zu befördern und die Widerstandsfähigkeit unserer Lieferketten zu stärken. Insofern ist jede Krise auch eine Chance zum Lernen und zur Verbesserung. Abzuwarten bleibt, ob und wie sich die Logistikpreise wieder günstiger gestalten lassen. Ich bin da vorsichtig: Nachdem die Branche viele Jahre lang ihre Kosten kaum decken konnte, hat sie jetzt einen großen Nachholbedarf.

Von Uwe Stupperich

Uwe Stupperich ist Geschäftsführer von M.G. International. Das traditionsreiche Logistik-Unternehmen betreut seit 1891 internationale Kunden in allen wesentlichen Sektoren und hat seit Jahrzehnten eine hohe Expertise für den Nahen und Mittleren Osten mit Büros vor Ort. Uwe Stupperich ist Mitglied des Präsidums der Ghorfa.