Die MENA-Region wird für die globale Automobilindustrie zu einem dynamischen Markt. Der Absatz an importierten Pkw wächst stetig. Doch auch die Produktion von Automobilen auf Fertigungsstätten in arabischen Ländern verzeichnet eine rasante Entwicklung. Chinesische Hersteller drängen nach vorn – vor allem mit E-Autos.

2020 wurden in der arabischen Welt rund 4,4 Millionen Fahrzeuge verkauft – ein Anstieg von vier Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Die Vereinigten Arabischen Emirate und Saudi-Arabien sind die größten Käufer-Märkte in der Region, in Nordafrika finden Autos in Ägypten, Marokko und Algerien die meisten Käufer. Noch immer stammen die meisten Fahrzeuge aus Japan, Südkorea, den USA und Europa.

Die deutschen Marken Volkswagen, BMW und Mercedes-Benz gehören zu den beliebtesten Marken und machen rund 30 Prozent des gesamten Automobilabsatzes in der Region aus. Der Nahe Osten gilt als einer der Schlüsselmärkte für Luxus- und Hochleistungsfahrzeuge, mit einer wachsenden Nachfrage nach Premiummarken wie Mercedes-Benz, BMW und Porsche. Die Mercedes-Benz S-Klasse etwa gehört zu den beliebtesten Autos in der Region.

Doch die arabische Region ist nicht nur als Absatzmarkt, sondern wird zunehmend auch als Produktionsstandort interessant. Die weltweite Zulieferindustrie lässt bereits unterschiedlichste Komponenten dort fertigen. Und – teilweise schon seit vielen Jahren – lassen Hersteller aus Asien, den USA und Europa einige Modelle ihrer Portfolios in arabischen Ländern produzieren. Bei der Produktion werden unterschiedliche Fertigungstiefen erreicht. Mit der „Assembly“ – also Endmontage vorgefertigter Teile fing es an. Weil die Zulieferindustrie sich zunehmend vor Ort ansiedelt und die Qualifikation der Beschäftigten steigt, wird die Fertigungstiefe zunehmend hochwertiger. Das schafft vor Ort Arbeitsplätze und erhöht das technologische Niveau der Volkswirtschaften. Besonders rasant verläuft die Entwicklung in Marokko und in Saudi-Arabien.

Marokko

Das Königreich ist das wohl gelungenste Beispiel für den erfolgreichen Aufbau einer Basis für die Auto-Industrie in der arabischen Welt. Es ist mittlerweile zum größten Automobilhersteller in der MENA-Region geworden und hat auf dem afrikanischen Kontinent sogar Südafrika auf den zweiten Platz verwiesen.

2022 wurden in Marokko rund 470 000 Automobile produziert, zehn Prozent mehr als im Vorjahr. Die installierte Kapazität von Produktionsanlagen liegt dort bei 700 000 Einheiten pro Jahr, bis 2025 soll sie auf eine Million steigen. Der Sektor beschäftigt mittlerweile 220 000 Menschen, die für einen Umsatz von rund 18,4 Milliarden Euro sorgen.

Der Schlüssel zum Erfolg ist, dass Marokko durch eine vorausschauende Industriepolitik ein günstiges Umfeld für die Lokalisierung der Produktion einer Reihe von Automodellen globaler Hersteller geschaffen hat (siehe Interview mit Botschafter Robert Dölger auf S. 20). „Automotive Cluster“ mit ausgezeichneter Logistik und günstigen steuerlichen Regeln für ausländische Investoren sorgen ebenso für günstige Bedingungen wie das Lohnniveau, das unter dem von Osteuropa liegt. Arbeitsplätze in der Industrie sind bei Marokkanern außerordentlich begehrt. Das Niveau der Ausbildung und der Qualifikation der Beschäftigten ist ständig gestiegen.

Bereits 2012 hatte Renault ein Werk in Marokko eröffnet und schon fünf Jahre später eine Million Einheiten dort produziert. Gegenwärtig hat der Konzern PSA (Renault-Nissan-Mitsubishi) zwei Fabriken, in Tanger und in Casablanca. Dort werden insgesamt rund eine halbe Million Pkw produziert, vor allem der Marke Dacia.

Seit 2019 ist auch der französische Konkurrent Stellantis im Königreich vertreten. Noch unter dem Markennamen Citroen hatte der renommierte Automobilhersteller eine Fabrik in Kenitra eröffnet. Unlängst wurde an diesem Standort weitere 300 Millionen Euro investiert, um die Jahresproduktion auf eine halbe Million Einheiten zu befördern. Ziel der Konzernzentrale in Paris ist: In Marokko sollen bis zum Ende der Dekade eine Million Fahrzeuge für den Nahen Osten und Afrika produziert werden.

General Motors, Ford, Volkswagen und Hyundai sondieren Produktionsstätten in Marokko. Der Standort Marokko gewinnt auch deswegen zusehends an Bedeutung, weil die Unterbrechung globaler Logistikketten durch die Pandemie und andere Disruptionen die Verletzbarkeit einer weltweit verstreuten Produktion von Komponenten sichtbar gemacht hat. Der neuen Anforderung – besonders der europäischen Hersteller – nach „Nearshoring“ kommt die geografische Lage Marokkos in idealtypscher weise nach.

Saudi-Arabien

Bereits seit 1977 werden im Königreich Mercedes-Lastwagen für den lokalen Markt produziert. Der Mercedes-Partner in Saudi-Arabien ist die National Automobile Industry Company der E.A. Juffali & Brothers. Die bedeutende Unternehmerfamilie gehört – nicht nur im Automobilsektor – zu den Pionieren der technologischen und industriellen Entwicklung des Königreiches.

Bereits 2010 wurde in Saudi-Arabien der Ghazal 1 vorgestellt – die „Gazelle“ war das erste vollständig im Königreich produzierte Auto. Es wurde in Zusammenarbeit mit großen Unternehmen wie Motorola, Mercedes und Magna Steyr aus Österreich entwickelt. Ghazal-1 basiert auf dem Mercedes-Benz G 500 AMG und wurde von Studiotorino entworfen. Die meisten Fahrzeugteile werden von Magna Steyr hergestellt. Der Erfolg blieb jedoch hinter den Erwartungen zurück, obwohl es auf die Besonderheiten der örtlichen Gegebenheiten zugeschnitten ist. So gab es beispielsweise eine getestete Toleranz für Kollisionen mit Kamelen.

Im Rahmen der „Vision 2030“ will Saudi-Arabien nun eine industrielle Basis für die Automobilindustrie aufbauen. Es setzt dabei auf den Rohstoffreichtum des Landes, auf Energie im Überfluss, die gute strategische Lage und eine gute Infrastruktur für die neue Industrie. In der Tat wurden in Saudi-Arabien bereits insgesamt 160 Fabriken für die Produktion von Automobilen, Motorenteilen und Zubehör in Betrieb genommen. Viele davon mit einem Fokus auf Elektrofahrzeuge.

Bis 2030 will das Königreich etwa 300.000 Autos produzieren und bis 2025 etwa 1,15 Millionen Autos (davon 62.000 Elektroautos). Damit will es 50 Prozent der Autoverkäufe in den Ländern des Golf-Kooperationsrates abdecken. Elektroautos sollen nach Angaben des Nationalen Zentrums für industrielle Entwicklung zwischen fünf und sieben Prozent des Wachstums ausmachen.

Zu den drei großen Fertigungsprojekten, die derzeit in Saudi-Arabien durchgeführt werden, gehören Lucid, Ceer – beide für Elektrofahrzeuge – und die Saudi National Automotive Manufacturing Co (SNAM) für konventionelle Fahrzeuge. Im Januar 2022 bestätigte der Präsident von SNAM, Fahad Al-Duhaish, die Grundsteinlegung für das erste Automobilmontagewerk in Jubail Industrial City. Es soll inklusive einem Testbereich 120.000 Quadratmeter groß sein, die Produktionskapazität des Werks soll 30.000 Autos pro Jahr erreichen.

Im Mai 2022 unterzeichnete das US-Unternehmen LUCID Motors Vereinbarungen über den Bau einer Produktionsstätte im Königreich mit einer Jahreskapazität von 155.000 emissionsfreien Elektrofahrzeugen. Der Saudi Industrial Development Fund hat das Projekt mit 1,3 Milliarden US-Dollar finanziert. Es wird erwartet, dass über 4.500 Arbeitsplätze geschaffen werden. Der Staatsfonds PIF hält bis dato einen Anteil von 60,4 Prozent an LUCID. Womöglich wird der Staatsfonds seinen Anteil aufstocken. Die saudische Regierung hat mit LUCID vereinbart, in den nächsten zehn Jahren bis zu 100.00 Fahrzeuge des Unternehmens zu kaufen.

Die Ansprüche an CEER, ein Joint Venture mit dem Apple-Zulieferer Foxconn, das im November 2022 angekündigt wurde, sind kaum weniger ehrgeizig. Die saudische Elektroautomarke ausländische Direktinvestitionen in Höhe von 150 Millionen Dollar anziehen, bis zu 30.000 Arbeitsplätze schaffen und 8 Milliarden Dollar zum saudischen BIP beitragen.

Foxconn soll bei CEER die elektrische Antriebsarchitektur entwickeln und dafür garantieren, dass CEER in den Bereichen Infotainment, Konnektivität und autonome Fahrtechnologien Spitzenpositionen einnimmt. Auch lizensierte Komponenten von BMW sollen zum Einsatz kommen.

Die Chinesen kommen

Im Königreich Saudi-Arabien ist der wachsende Ehrgeiz chinesischer Unternehmen gut abzulesen. 2019 eröffnete der chinesische Automobilhersteller Changan Automobile eine Produktionsstätte in der Nähe von Riad mit einer jährlichen Produktionskapazität von bis zu 150.000 Fahrzeugen. Die chinesische Foton Motor Group hat in Saudi-Arabien eine Partnerschaft mit dem lokalen Unternehmen Al-Jomaih Automotive Company (AAC) geschlossen, um Lastwagen und Busse in Saudi-Arabien herzustellen. AAC ist zudem eine Partnerschaft mit JAC Motors Group eingegangen. In einem gemeinsam betriebenen Werk in der Nähe von Jeddah werden jährlich bis zu 25.000 Fahrzeugen produziert, hauptsächlich leichte Nutzfahrzeuge und SUVs für den saudischen Markt.

Die Präsenz Chinas auf dem arabischen Markt nimmt zu. Die Kunden schätzen die niedrigen Preise chinesischer Autos, denn den Chinesen gelingt die Produktion erschwinglicher Autos mit recht ordentlichem Preis-Leistungs-Verhältnis bei gleichzeitig zunehmender Qualität durch Investitionen in Forschung und Entwicklung. Chinesische Hersteller produzieren bevorzugt SUVs und Pickups, die im Nahen Osten außerordentlich beliebt sind. Glück für deutsche Automobilproduzenten: Chinesische Autos werden von Verbrauchern immer noch als weniger hochwertig wahrgenommen als etwa die bekannten deutschen Marken. Der Nahe Osten ist ein überaus wettbewerbsintensiver Markt, zumal Ostasiaten mit etablierten Marken wie Toyota, Nissan und Hyundai heftig mitmischen.

Chinesische Ambitionen sind auch in auch in Tunesien zu erkennen: So unterhält die chinesische BAIC-Gruppe eine Partnerschaft mit dem tunesischen Unternehmen Artes. Eine 2018 eröffnete Fabrik hat eine jährliche Produktionskapazität von bis zu 5.000 Fahrzeugen und produziert hauptsächlich SUV-Modelle für den tunesischen Markt und für den Export in andere afrikanische Länder. Die Partnerschaft zwischen BAIC und Artes ist Teil einer klar erkennbaren Strategie Chinas, die Präsenz ihrer Automobilindustrie auf dem afrikanischen Markt schwunghaft zu erhöhen.